Aus gegebenem Anlass

18. Juli 2007 / Eingestellt von thw um 07:30 /

publizieren wir hier einen Text von Martin Conrath zum XIV. ROHKUNSTBAU ®:

Lieber R.

wie Du weißt, beobachte ich gerne kuratorische Kür-Einlagen im
Pflichtprogramm Kunst und so bin ich am Samstag nach Sacrow zur
Eröffnung der Abteilung Bildende Kunst des XIV. Rohkunstbau®-
Festivals ins Grüne gefahren. Das wurde nötig, weil mir die vorab
vermittelte Thematik "Drei Farben – Weiß" in Kohärenz mit
"Gleichheit, Demokratie und Individualität" in der Bildenden Kunst
nicht zwingend einleuchten wollte.

Durch einen ungefähren Rest eines Linné-Parkes gelangte man zu Fuß
ans Schloss und in die brave Warteschlange derer, die bevor hinein-,
erst gleichviel herauskommende Besucher abgezählt an sich
vorbeiziehen lassen mussten. Vom Schloss gabs innen dann auch nur
Reste, weil erst die Nazis das Barock und später dann DDR-
Grenzzöllner das Übermenschliche entfernt und abgerockt hatten. Das
ist wichtig zu wissen, weil das Festival "ortsbezogener,
zeitgenössischer Kunst" gewidmet ist und die zeitbezogenen
Ortsgenossenschaften kuratorischer Schwärme sich gerne und bevorzugt
in desolaten Locations aufhalten.

Und dann gings los: Ein wandgroßer (-> site-specific) weißer (->
weiß) Plastikalgenvorhang (-> site-specific) von Ayse Erkmen
behinderte ein wenig den Blick nach draussen und sollte " den Raum in
ein Märchenschloss verwandeln". Das wollte mir in der stark
renovierungsbedürftigen Butze nicht wirklich gelingen. Weiß aber war
das Ding. Zwei Großfotos architektonischen Inhaltes von Ola
Kolehmainen, nicht weiß, aber eines mit barockem Schlosshof (-> site-
specific), das andere mit kopfstehender Betonecke (-> Gleichheit)
schließen die Ausstellung mit "verschiedenen Blickwinkeln des
Künstlers" nach rechts ab. Nach links führt der Parcour zu einer
Videoinstallation von Jaroslaw Flicinski – auch nicht weiß – in der
ein unbekannter Mann vor gemalten kachelähnlichen Hintergründen
drollige Bewegungen macht. Das erinnerte mich an Jaques Tati. Wer der
Mann ist, weiß auch der Künstler nicht (-> angeblich, Fake), aber man
kann sagen, "jeder Mensch ist verschieden und dennoch sind alle
Menschen gleich" (-> Gleichheit, Demokratie, Individualität und so).
Dem folgt der Raum von Thomas Rentmeister mit einem wandgroßen (->
site-specific) Wäschestapel (-> weiß), dessen Ritzen mit
Würfelzucker, Tampons, Watte und Wattestäbchen (-> weiß) abgedichtet
sind. Das passte alles, sollte aber dann auch einen "Traum von
Reinheit" vorstellen (deswegen der Zucker), der wohl in den Wochen
der Präsentation etwas schmuddelig (-> Demokratie) werden wird.
Danach wurde es wieder dunkel (-> nicht weiß) und Julian Rosefeldt
zeigte eine 4-Kanal Videoinstallation, deren Takes im Schloss und
seinen Umgebungen aufgenommen worden waren (-> site-specific). Im
Dunkeln bellende Schäferhunde, ein Skinhead, der ins Wasser geht, ein
Mann mit Greifvogel an nebligem Wasser und ein Kai, an dem ein Schiff
voller die deutschen Fahnen schwenkender Passagiere vorbeifährt
"verbindet die deutsche Romantik mit aktuellen Fragen der nationalen
Identität (-> Demokratie, Individualität etc.). Die Arbeit ist gut,
das Geschwätz ist eher mau.

Damit ist das Erdgeschoss abgegessen und man knarzt ins 1. OG. Sex
sells, besonders als "site-specific" verkaufter, und so steuert Gil
Marco Shani Zeichnungen (-> ziemlich weiß) und ein Gemälde (->
schwarz, unbunt) bei, "die in ihrer geschlossenen Emblematik
erschütternd wirken", weil Gewalt und Unterdrückung "Bilder in
Zeichen gesellschaftlicher Verwerfungen verwandeln" (-> etc.). Das
muss man auch wissen, wenn man Soldaten, Schäferhunde (-> site-
specific), Fickende und im Kabinett beiseite gestellte Rahmen
anschaut. Danach wirds schon wieder noch nicht weiß, sondern zur
Abwechslung bunt. Candice Breitz widmet sich der Werbung und dem Pop
und schneidet aus Agenturvorlagen bekannte Liedtexte und -verse aus.
Dass dahinter dann Spiegel hervorblitzen, hat zwar mit weiß und/oder
Demokratie nichts zu tun, aber mit der wiedergefundenen Realität (->
site-specific). "Die Gleichheit dieser Sprache kontrastiert mit der
Individualität (-> Individualität) der Gefühle (-> eventuell
Demokratie) in verletzender Weise (-> irgendwie beleidigt). Der etwas
volle Beuys-Raum in dem Marie Chevska zwischen Deutsch, Polnisch,
Englisch und Französisch argumentativ wechselt, bezieht sich auf
Kieszlowskis Film "Drei Farben - Weiß" (-> weiß) und beschriebe "das
zerbrechliche Gleichgewicht des Menschen zwischen öffentlicher und
privater Sphäre" wenn ein solches in der Ausstellung denn bestünde.
Thomas Demand "nimmt den Betrachter aus seiner Verantwortung" (->
Demokratie) indem er das Szenario eines Pressebildes zu einem
mißglückten RAF-Anschlag in Karlsruhe nachbaut und dann fotografiert.
Das Bild zeigt eine Eigenbau-Granatwerfer-Konstruktion (->
Individualität) an einem Wohnungsfenster (-> Butze). In unmittelbarer
Nähe zum Verfassungsgericht (-> demokratie) zündete die Konstruktion
1977 aber nicht. Im Kuratorendeutsch heißt das dann "vereitelter
Anschlag" und nimmt, obwohl weder weiß noch demokratisch noch
individuell oder gleichwie, wirklich jeden aus jeder Verantwortung.
Last but not least hängt in einem kleinen, leergeräumten Amtsstübchen
dann auch noch ein kleines graues Bild von Gerhard Richter (-> nicht
weiß, Gleichheit), auf dem Fingerspuren zu sehen sind (->
Individualität, Fake). Das daran site-specifigge wollte sich erst
nicht einstellen, kam dann aber ganz von selbst mir doch noch unter
die Augen: die Alarmanlage. Die "Richter eigene Indifferenz von
Bewegung und Stillstand" versetzte mich dann – ganz entschieden
different – hinaus ins Freie. Dort schien die Sonne.

"2007 thematisiert die Ausstellung "Drei Farben – Weiß" das Thema
Gleichheit und will sowohl die öffentliche Reflexion über den Umgang
mit den demokratischen Werten, als auch die individuelle
Auseinandersetzung mit ihnen anregen." "Einlullen" wäre ein
ehrlicherer und passenderer Ausdruck gewesen. Mit solchem
Petersburger Spritzbewurf macht man zwar Wände voll, aber offenbar
auch Köpfe leer und so ist die Ausstellung ein öffentlicher (->
Demokratie) und ansonsten gleichgültiger Missbrauch (->
Individualität) von Kunst.

Das Machwerk ist bis zum 26.8. Samstags und Sonntags immerhin 14 Tage
geöffnet von 10-20 Uhr (-> site-specific) und kostet 7 € Eintritt (->
Gleichheit).

Näheres unter http://www.rohkunstbau.de (-> Demokratie) oder +49 30
495 00 979 (-> Individualität).

Kuratoren: Dr. Arvid Boellert, Mark Gisbourne, Max Schumacher (->
Individualität).

Alle Zitate aus dem Begleitheft (-> etc. und so).

Beste Grüße



Der Text von Martin Conrath erschien zuerst bei Kunst-Blog.com. Mit Dank an den Kunstblog und an Martin Conrath.



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