Grand Tour durch die alte Welt

10. August 2007 / Eingestellt von thw um 13:40 /

Die neue 'Kunstzeitung', Ausgabe 08/2007 unternimmt den Versuch, den Kunstsommer zu bilanzieren und tut dies mit unterschiedlichen Stimmen. Besonders aufgefallen sind uns die Bemerkungen von Harald Falckenberg und Hans Peter Schwerfel. Hier drucken wir den Beitrag von Hans Peter Schwerfel als eine Art Rundumblick-Kritik ab:

Viele Propaganda-Perlen, wenige Lichtblicke

Selten war der Ausdruck "Alte Welt" so verdient wie im Kunstsommer 2007. Gehofft hatte man auf kritische Kontroversen und positive Denkanstöße, befürchtet marktkonforme Andachtsbilder und bildungsbürgerliche Langeweile. Gekommen ist es viel schlimmer: Nicht der Regen, sondern die Kunst hat dem professionellen Teilnehmer der "Grand Tour" den Kunstsommer so gründlich versaut, dass er nach Venedig, Basel und Kassel vom Zug gesprungen ist, zutiefst enttäuscht von Ausstellungen, die sich im Vorfeld bilderstürmerisch gebärdeten und dann langweilig bis reaktionär blieben. Konservative Kommerzkarusselle gut verkäuflichen Betroffenheitskitsches, die hinter ihrem vergeistigten (Kassel) oder puritanischen (Venedig) Auftritt eine zutiefst gestrige Gesinnung verraten.

Während die Art Basel sogar ihre in den letzten Jahren noch erfrischenden Sektionen junger und sperriger Entdeckungen zynisch auf marktgerechtes Format trimmte, wurde in Venedig dreist von der Wand verkauft. Auch wenn es niemanden mehr interessiert, ob die neuen Polkes nun für 15 oder für fünf Millionen von Michael Werner an den Kunstkrösus Pinault verscherbelt wurden, traurig war, wie dreist Auswahl und Hängung meist mittelmäßiger neuer Produktionen wichtiger Künstler in Richtung Privatsammler schielten. Im Arsenale blieb man sprachlos ob des politisch korrekten Mittelmaßes, das keines der angeblichen brisanten Zeitthemen ausließ und durch opulente Stellwände von Pfadfinder- auf Studentenniveau gehievt wurde.

Die documenta 12 entpuppte sich als nicht schlechter als die diesjährige Biennale von Venedig, aber sie ist noch verlogener. Und damit um so trauriger. Ein angeblich marktunabhängiger, qualitätsorientierter, postfeministischer, an globalen Machtstrukturen geschulter Blick für das Wesentliche von Kunst war angekündigt worden – geliefert wurde über große Strecken amateurhaftes Mittelmaß, in künstlerischer wie kuratorischer Hinsicht. Es ist einfach unverzeihlich, wenn triefend symbolische Bepflanzungspläne von Gesinnungskünstlern in peinlicher Leere enden und Kuratoren wortgewandt und medientrommelnd revolutionär schöne und leichte Räume ankündigen, die dann durch Belüftungstrichter und Scheißhauscontainer verhunzt werden. Wenn der angekündigte Star-Koch lieber zuhause tafelt, Entdeckungen wie Charlotte Posenenske, Lee Lozano oder Mira Schendel gar keine sind, mittelmäßige Malerei von Kerry Marshall und Baer bis Davila im Dutzend auftreten darf und Film nur in ganz wenigen Ausnahmen vorkommt.

Viele vollmundige Propaganda-Perlen, aber nur wenige Lichtblicke. Keinerlei Wissen um die Vorgänger der letzten 30 Jahre – wie kann man ein nostalgisches und österreichlastiges Filmprogramm als "Wiederentdeckung des Kinos" ankündigen, wenn das Gloria-Theater regelmäßig eingesetzt wird und eine Catherine David mit documenta- und arte-Geldern sogar Kino koproduzierte? Und zuletzt, nach der Eröffnung, doch ein unfreiwillig wahres Wort: Wenn Roger M. Buergel betont, er habe eine Ausstellung machen wollen, die den "Kern ihrer Zeit treffe", dann ist ihm das gelungen. Wo Konservative mit Umweltpolitik wuchern, Millionäre gegen Klimawechsel rocken, wo Attack nur noch fürs Fernsehen blockiert und eine Linkspartei unverhohlen auf Nation setzt, wo Unterwelt Kunst bar kauft und sich sogar die Tour de France drogenfrei gibt, da weht genau jener politische Wind der Reaktion, der uns auch in Kassel um die Kunst zittern lässt.


Mit Dank an den Autor und an die 'Kunstzeitung'. Der Beitrag von Harald Falckenberg folgt.

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