Kunst der Maloche

2. Juni 2007 / Eingestellt von thw um 10:05 /




Das ist Dieter, der Baggerführer, auf dem Weg zur Arbeit. Das ist auch ein Ausschnitt aus einem Video der Ausstellung 'Ausgewählte Arbeiten' von Artur Zmijewski im Neuen Berliner Kunstverein, eine Veranstaltung des Video Forum unter Kathrin Becker, die die Ausstellung kuratiert hat.
Hier eine Besprechung aus meiner Hand für die 'Stuttgarter Nachrichten':

Interesselose Beobachtung

Artur Zmijewski im NBK Berlin


Wer den Ausstellungsraum betritt, sieht sich umgeben von fünf Flachbildschirmen, auf denen er alltägliche Szenen sehen kann. Die Töne und Klänge der einzelnen Videoarbeiten überlagern sich und scheinen sich damit auch gegenseitig zu kommentieren. In dieser Klang- und Bildvermischung wird die Grenze zwischen Ausstellungsraum und Außenraum durchlässig. Das mag eine Intention von Artur Zmijewski gewesen sein für die Einrichtung seiner Arbeiten in den Ausstellungsräumen des Neuen Berliner Kunstvereins. Der polnische Künstler gehörte zu den ersten Namen, die Roger M. Buergel als Teilnehmer der Documenta 12 bekannt gab.

Sind diese Werke nun ‚angewandte Gesellschaftskunst’? Unter diesem Titel hat der Künstler in einer polnischen Zeitschrift einen Artikel veröffentlicht, der mit der seltsamen Frage beginnt: „Hat die moderne Kunst irgendwelche sichtbaren gesellschaftlichen Folge?“ Es sieht nicht danach aus. Und dennoch sind die Videos eine mögliche Antwort auf diese Frage. Ihr verbindende Thema ist unter dem Stichwort ‚Prekariat’ oder ‚Erwerbsarbeit auf niedrigem Niveau’ zu verbuchen. Ursula gehört dazu und ist Putzfrau und der Künstler ist ihr 24 Stunden mit seiner Kamera gefolgt. Aus diesen 24 Stunden hat er vierzehn Minuten extrahiert, die einen Einblick gestatten in ein Leben, das sich vollkommen außerhalb der Kunst bewegt und am Ende Kunst wird. Denn was zu sehen ist, ist keine Dokumentation. Es ist der Blick eines Künstlers, der versucht zu verstehen. Die Frage ist nicht ‚Was ist Kunst?’, sondern ‚Wie leben Menschen?’. Schon sein Beitrag im polnischen Pavillon zur Biennale Venedig im Jahre 2005 widmete sich in der ‚Wiederaufführung’ des Stanford Experiments menschlichen Verhalten unter extremen Bedingungen. In seinen neueren Arbeiten sind die Bedingungen nicht extrem, aber ungewöhnlich. Das gilt jedenfalls für einen Großteil der Besucher, die die Ausstellung in der Chausseestrasse besuchen. Neben der Putzfrau Ursula treten der Baggerfahrer Dieter oder die Würstchenverkäuferin Patricia. Ja, die Putzfrau säubert danach noch ihre eigene Wohnung und der Baggerfahrer freut sich über ein Tor, das dann auch noch mal im Fernseher in Zeitlupe wiederholt wird. Bei alldem ist der Künstler scheinbar ein interesseloser Beobachter. Diese Position erlaubt es ihm dann auch, den Menschen beim Schlafen und beim Aufwachen zuzugucken. Die Beobachtung des Schlafs der Protagonisten ist seltsamerweise das verbindende Element aller Arbeiten. Wer sich länger in der Ausstellung aufhält, wird jenen Grisaille-Video-Bildern immer wieder begegnen. Und plötzlich wird eine Referenz deutlich, die man sich vielleicht gar nicht eingestehen will. Es ist Andy Warhols erster Film mit dem bezeichnenden Titel ‚Sleep’ aus dem Jahr 1964, der einen schlafenden Mann zeigt, sechs Stunden lang. Will man bei den Videoarbeiten an andere Referenzen denken, dann könnte einem das Cinema Verité eines Jean Rouch einfallen, aber der Blick von Jean Rouch ist ein Interesse geleiteter. Wenn Artur Zmijewski blickt, ist dieser Blick nicht so sehr an der Person interessiert, sondern an deren Funktion. Dennoch ist er Moralist und Realist: „Eliten haben Einfluss auf das Leben dieser Menschen...Und dieselben Eliten, die auch die Hochkultur produzieren, stoßen diese Menschen ab.“
Die Ausstellung mit diesem kritischen Impetus, für die Kathrin Becker vom Videoforum des NBK verantwortlich zeichnet, könnte auch unter der Regie des neu ernannten Kunstvereinsdirektor Marius Babias entstanden sein. Er wird seine neue Stelle am 1. Januar 2008 antreten.


P.S.: Der Titel verdankt sich einer Besprechung der Ausstellung in Tagesspiegel durch Nicola Kuhn.

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