Die Realität beißt zu

3. Juni 2007 / Eingestellt von thw um 16:47 /


Collier Schorr
Lina, Opening Braid, Bettringen, 2001
Photograph
C-print, 42 x 35 in. (106.7 x 88.9 cm)
Courtesy of the artist and 303 Gallery, New York




Weil heute Sonntag ist, wollen wir hier auch etwas zum Lesen anbieten:

Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung 'Reality Bites Kunst nach dem Mauerfall' in den Opelvillen Rüsselsheim, auf die wir schon hingewiesen haben aufgrund des bemerkenswerten Themas und des bemerkenswerten Katalogs, wollen wir hier noch mal die Presseinformationen zum Projekt veröffentlichen. Herr Sartorius hat sich noch nicht gemeldet...Herr Blume? Ach ja, der Hamburger Bahnhof...!

30.5. – 2.9.2007

Reality Bites
Kunst nach dem Mauerfall

Reality Bites konzentriert sich auf den besonderen Charakter zeitgenössischer Kunst, die nach dem Mauerfall im November 1989 in Deutschland entstanden ist, und untersucht die Frage, wie die bildenden Künste direkt oder indirekt auf die Auswirkungen der Wiedervereinigung reagiert haben. Hierbei stehen nicht zuletzt die Wechselwirkungen zwischen Kunst und Bereichen des Sozialen, Wirtschaftlichen oder Politischen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Ausstellung präsentiert rund siebzig mehrteilige Arbeiten aus unterschiedlichen Bereichen - Malerei, Fotografie, Installation, Film, neue Medien - und zeigt auf, wie sich die Ästhetik des Alltags und der Kunst gegenseitig durchdringen. In genau diesen wechselseitigen Durchdringungen sieht Reality Bites den avantgardistischen Charakter der Kunst nach dem Mauerfall begründet.



In den Opelvillen sind Arbeiten von folgenden Künstlerinnen und Künstlern zu sehen: Franz Ackermann, Kutlug Ataman, Cosima von Bonin, Sophie Calle, Tacita Dean, Bernhard Gabert, Isa Genzken, Beate Gütschow, Rudolf Herz, Christian Jankowski, André Korpys & Markus Löffler, Ulrike Kuschel, Via Lewandowsky, Eva Leitolf, Michel Majerus, Mariele Neudecker, Olaf Nicolai, Marcel Odenbach, Manfred Pernice, Daniel Pflumm, rude_architecture, Gregor Schneider, Collier Schorr, Renata Stih & Frieder Schnock und Wolfgang Tillmans.



Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Mildred Lane Kemper Art Museum, Teil des Sam Fox Arts Center, Washington University in St. Louis. Kuratorin der Ausstellung: Dr. Sabine Eckmann, Direktorin des Mildred Lane Kemper Art Museums.



Ästhetik und Alltag



Eine der Auswirkungen der deutschen Vereinigung ist die erneute Bedeutung von „Wirklichkeit“. Zeichnete sich die Postmoderne durch ihre abstrakten, simulierten Aspekte aus, die eine eklektische Mischung von Medien wie Malerei und Fotografie beinhalten und die unterschiedliche Stilrichtungen von abstrakten bis hin zu figurativen Ausdrucksformen umfassen, so wurden politische und soziale Realitäten für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nach dem Fall der Mauer zu unentrinnbaren Fakten des alltäglichen Lebens. Dieses Verhältnis spiegelt sich in den Arbeiten der Ausstellung darin wider, dass sie den Alltag vehement in die ästhetische Domäne einbeziehen und umgekehrt. So setzen sie beispielsweise Materialien der globalen Massenkultur ein, integrieren den Betrachter in den Schaffensprozess ästhetischer Erfahrung und entwerfen Räume, die mit Orten der Geselligkeit und Zerstreuung konkurrieren. Neben der Entgrenzung der etablierten Kunstformen Malerei, Bildhauerei und Fotografien in Bereiche des Alltäglichen, imitieren die Arbeiten die Rhetoriken der Globalisierung, indem sie Netzwerke und Kartografien als Untersuchungswerkzeuge nutzen und auf bereits ästhetisierte Bilder unserer medialisierten Wirklichkeit zurückgreifen sowie Zeit in synchroner Form zum Einsatz bringen. Diese neuen Formen der Darstellung lösen die Grenzen zwischen den einzelnen Genres der Kunst auf; sie schließen Medien der Populärkultur ein, die traditionellerweise nicht zu den bildenden Künsten gerechnet werden, wie den Spielfilm und seine Black-Box-Umgebung; und sie stellen die Differenzierung zwischen Kunst und Leben grundsätzlich in Frage.



Die neue Avantgarde



Reality Bites stellt die These auf, dass diese Methoden Materialien und Strategien, die auf die eine oder andere Weise alle Appropriationen, d.h. Aneignungen, der „Wirklichkeit“ sind, den neuen Avantgarde-Charakter dieser Kunstwerke ausmachen. Anderen von Avantgarde-Bewegungen im 20. Jahrhundert hervorgebrachten Werken ähnlich, stellen die Arbeiten in „Reality Bites“ die Kategorie des Kunstwerks in Frage. Doch im Gegensatz zu früheren Arbeiten der Avantgarde lehnen die Künstlerinnen und Künstler der 1990er-Jahre kunsthistorische und theoretische Diskurse oder Institutionen wie Museen und Galerien nicht ab, um ihre ästhetischen Verfahren an soziale und politischen Wirklichkeiten anzubinden. Vielmehr untersuchen sie gerade die Herstellung und Rezeption von Kunst unter den Bedingungen der Warenproduktion. Während die Arbeiten der historischen Avantgarde deutlich ihren Anti-Kunst-Charakter betonten, umfassen die zeitgenössischen Arbeiten in Deutschland nach dem Fall der Mauer sowohl ästhetische Referenzen als auch Aneignungen aus den Bereichen des Alltäglichen.



Drei thematische Sektionen



Reality Bites ist thematisch konzipiert. Jeder der drei Teile der Ausstellung – Re-Dressing Germany: Wiederaufnahmen und Neubesetzungen, Traumatische Erzählungen und Globale Räume – beschäftigt sich mit einer Erscheinungsform der Veränderungen, die durch die Vereinigung und ihre Folgen erreicht oder beschleunigt wurden. Die behandelten Themen sind hierbei nicht nur für eine Untersuchung der zeitgenössischen Kunst aus Deutschland von Bedeutung, sondern auch im Hinblick auf Arbeiten, die in den 1990er-Jahren von bildenden Künstlerinnen und Künstlern weltweit produziert wurden, relevant.



1. Teil

Re-Dressing Germany: Wiederaufnahmen und Neubesetzungen



Der erste Teil Re-dressing Germany: Wiederaufnahmen und Neubesetzungen thematisiert die enormen Veränderungen Deutschlands nach dem Fall der Mauer anhand von Kunstwerken, die in Verbindung mit dem neuen Bild Deutschlands, seinen neuen und alten Orten, seiner symbolischen Politik und nationaler Kultur stehen. Sie verdeutlichen, wie die jeweiligen Imaginationen das neue Deutschland unterstützen, reflektieren und vermitteln, während sie zugleich auch an der Schaffung einer neuen Identität teilhaben. Re-Dressing Germany: Wiederaufnahmen und Neubesetzungen zeigt Videos, Fotografien, Objekte, Installationen und Assemblagen von Sophie Calle, Ulrike Kuschel, Eva Leitolf, Marcel Odenbach, Manfred Pernice und anderen. Damit stehen in diesem Teil der Ausstellung die multikulturellen Realitäten der Gegenwart, das Wiederaufkommen des fremdenfeindlichen Rassismus in den frühen 1990er Jahren, das Auslöschen der DDR-Kultur und die neuen Praktiken symbolischer Politik in der neuen Berliner Republik im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die von den Künstlerinnen und Künstlern bei der Konzeption dieser Bilder eingesetzten ästhetischen Mittel demonstrieren die Schaffung nicht nur neuer Formen, sondern auch von Formen, die bewusst in den Alltag eindringen, und so die Kunst als Teil dieser neuen Wirklichkeit herauszufordern.



Nationalistische Bedrohung



In den frühen 1990er-Jahren wurde das Aufkommen eines erneuten und aggressiven deutschen Nationalismus national und international als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen. Insbesondere angesichts von Helmut Kohls politischer Rhetorik des deutschen Nationalismus in den 1980er-Jahren, fürchteten viele eine Wiederholung von Gewalt, Irrationalismus und Intoleranz, wie sie im Dritten Reich anzutreffen waren. Aus diesem Zusammenhang heraus setzt Marcel Odenbachs zum Zeitpunkt der Vereinigung entstandene Arbeit Niemand ist mehr dort, wo er hinwollte (1989-90) die für ihre  subversiven Qualitäten bekannten Montagetechniken der frühen Avantgarde ein, um auf diese Weise Unbehagen über die deutsche Vereinigung und die deutsche Nation zu erzeugen. Das Video fordert uns dazu auf, die deutsche Geschichte jetzt, da die Nation erneut vereinigt ist, bewusst zu betrachten und uns mit den verführerischen Qualitäten der Ästhetisierung des Kollektivismus auseinanderzusetzen.



Spurensuche



Dass Odenbachs Warnungen vergeblich gewesen sein könnten, legt Eva Leitolfs Fotoserie Deutsche Bilder – eine Spurensuchen in Rostock, Thale, Solingen und Bielefeld 1992-94 nahe. Die Serie zeigt vier Jahre nach der Vereinigung trotz vorangegangener rassistischer Gewaltausschreitungen in vier deutschen Städten nichts als ein Bild alltäglicher Ruhe. Leitolf unterstreicht nicht nur die faktische Wiederkehr und passive Toleranz fremdenfeindlicher Taten, sondern versucht auch herauszufinden, in welchem Maße ihre Kamera in der Lage ist, auf der einen Seite die Motive der Täter zu enthüllen und auf der anderen Seite die Sorge und Stummheit der Opfer zu vermitteln.





Assimilierung der DDR an den Westen



Die deutschen Künstler Christian Jankowski, Manfred Pernice und Olaf Nicolai, die französische Künstlerin Sophie Calle und die britische Künstlerin Tacita Dean stellen in ihrer Thematisierung der erzwungenen Assimilation der DDR-Kultur an die westliche Gesellschaft bestehende Bedeutungen in Frage, anstatt neue zu schaffen. Calles Fotoserie Souvenirs de Berlin-Est (The Detachment) (1996) zeichnet die Erinnerungen von Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR an einzelne politische DDR-Denkmäler nach deren Entfernung auf. Fotografien dieser Denkmäler bilden zusammen mit einem Künstlerbuch, das die gesammelten Erinnerungen dokumentiert, einen Diskurs über deren Bedeutungen in Vergangenheit und Gegenwart.



Jankowskis Haus des Ostens (2000) verfolgt eine ironischere, jedoch gleichermaßen performative Herangehensweise an das Thema. Für sein Video-Projekt benutzte Jankowski ein Hotel, das als DDR-Freizeitpark fungiert, und es ehemaligen DDR-Bürgerinnen und Bürgern ermöglichte, in die Vergangenheit zurückzukehren, die verschwand, nachdem ostdeutsche Lebensweisen unter die westliche Kultur, Politik und Wirtschaft subsumiert worden waren.



Pernices Ohne Titel (2002) spielt auf Marcel Duchamps Readymades an und macht mit diesem Modell auf das Verschwinden der ostdeutschen Kultur aufmerksam, indem er einen gefundenen Fahrradständer aus DDR-Zeiten in ein Objekt der bildenden Kunst verwandelt. Doch was hier eigentlich in die Sphäre der Kunst erhoben wird, ist die DDR selbst. Wie Pernices Arbeit schreiben auch Nicolais riesige Lampe (2000), deren Design an den Modernismus der DDR erinnert, und Deans komplexe Fotogravuren (2005), die das Berliner Schloss in die Gitternetze der Fassade des Palastes der Republik einfügen, die DDR in die Geschichte der Kunst ein.



Neue Avantgarde-Strategien



Was diese Kunstwerke miteinander verbindet, ist nicht nur die ihnen gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema des alten und neuen Deutschland, sondern sind auch die von ihnen angewendeten ästhetischen Verfahren. Obwohl diese Arbeiten vielfältig und disparat erscheinen, stellen sie alle eine aktive Intervention in Bezug auf das neue Deutschland dar.



Diese Arbeiten begründen eine neue Avantgarde-Strategie, indem sie sowohl an der Gestaltung des neuen Deutschland teilhaben als auch eine reflexive Funktion hinsichtlich seiner entstehenden Identitäten einnehmen. Sie bedienen sich einerseits älterer Avantgarde-Praktiken, wie der Verwendung von Montage, Assemblage und Readymade, andererseits dem Einsatz performativer Filme und Fotografien und – wie im Falle Ackermann, Nicolais und Genzkens – künstlerischer Arbeiten, die realisierbaren Modellen ähneln. Auf diese Weise verkörpern diese Arbeiten neue Formen von Kunst, die sich in einem hybriden Bereich sowohl zwischen als auch innerhalb ästhetischer Praktiken und Erfahrungen des Lebens verorten lassen.



2. Teil

Traumatische Erzählungen



Traumatische Erzählungen behandelt künstlerischen Vorgehensweisen, die sich thematisch mit traumatischen Ereignissen der Vergangenheit, wie dem Holocaust, den terroristischen Aktivitäten der Roten Armee Fraktion (RAF) und der Diktatur der Deutschen Demokratischen Republik, auseinandersetzen. Eine der Auswirkungen von Wende und Einheit war eine erneute Welle des Interesse an – oder sogar der Besessenheit von – Formen und Themen. Anstatt die Vergangenheit in die Gegenwart zu überführen, wurde Erinnerung für eine neue Generation deutscher Künstlerinnen und Künstler zum Mittel der Umgestaltung und Neuordnung der zeitgenössischen deutschen Identität und so zur Möglichkeit, diese neu zu schreiben, indem sie deren ambivalenten, divergierenden und ungefestigten Beziehungen zur Vergangenheit aufzeigten.



In der Berliner Republik der 1990er-Jahre richten sich künstlerische Projekte nicht mehr ausschließlich auf den Holocaust und die gewalttätige Geschichte des Dritten Reichs, sondern untersuchten auch die jüngere westdeutsche Geschichte, insbesondere die ruhig gestellten Aktivitäten der Roten Armee Fraktion (RAF), und die ostdeutsche Diktatur. Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich in Deutschland nach dem Mauerfall mit traumatischen Momenten der Vergangenheit, indem sie über ältere ästhetische Strategien eines darstellenden und individualisierenden Symbolismus hinausgehen und stattdessen Bedeutungen herstellen, Erzählungen entwickeln und Traumata anhand bereits medial vermittelter Bilder visualisieren, die zum Teil ihrer Wichtigkeit beraubt und als Fragment repräsentiert wurden. Letztere werden unter anderem eingesetzt, um die Fähigkeit der Fotografie in Frage zu stellen, alle bedeutungsgebenden Elemente zu registrieren und damit das Inkommensurable, das, was die traumatische Erfahrung überhaupt erst ausgelöst hat, abzubilden.



Das Private wird öffentlich



Collier Schorr befragt die Bedeutung von Bildern, wenn sie junge Deutsche in Naziuniformen oder nazistischen Rasseidealen folgend als „Arier“ verkleidet, in Szene setzt und fotografiert. Wir werden aufgefordert, darüber nachzudenken, ob sich solche Bilder immer noch der Nazi-Ideologie beugen oder ob sie diese Konnotation mittlerweile nicht doch verloren haben. Renata Stihs und Frieder Schnocks Installation Orte des Erinnerns (1993) bringt das Alltagsleben unter dem Hakenkreuz in den Bereich des öffentlichen Raumes zurück. Das Künstlerduo entwarf Straßenschilder, die in Bild und Text rassistische Gesetze reproduzieren, und hängte diese Hinweistafeln im Bayerischen Viertel in Berlin, einem ehemals vornehmlich jüdischen Stadtteil, auf. Die im zeitgenössischen Stil gestalteten Schilder machen traumatische und verdrängte Momente der deutschen Geschichte öffentlich und enthüllen jenes Wissen, das normalerweise im Privatleben deutscher Bürgerinnen und Bürger verschlossen bleibt.



Indem sie das Private öffentlich machen, schaffen Stih und Schnock Verhandlungsspielräume, die diese Ereignisse aus der Vergangenheit und aus dem Bereich des Ungesagten lösen, um sie als Bestandteil der Gegenwart und Zukunft akzeptieren zu können.



In ähnlicher Weise versetze das Team von André Korpys und Markus Löffler in seiner Untersuchung einer Wohnung, die der Roten Armee Fraktion einst als geheime Unterkunft diente, den Bereich des Privaten in den Raum der Öffentlichkeit Korpys/Löfflers Multimedia-Installation Konspiratives Wohnkonzpet „Spindy“ (1998) besteht aus Fotografien, Zeichnungen und einem Künstlerbuch. Für dieses Projekt recherchierten die Künstler die Designelemente einer Wohnung, die von der RAF in Hannover angemietet worden war, und bauten in Folge das Modell einer konspirativen Wohnung der späten 1990er Jahre, das sie dann zerstörten und die Zerstörung fotografisch dokumentieren. Anstatt den bestimmten historischen Augenblick zu verbildlichen, konfrontieren sie somit den Betrachter mit abstrahierten Bildern von Gewalt. Damit erinnern sie an die traumatische Vergangenheit, ohne diese selbst darzustellen.



Die Transformation des Traumas in die Privatsphäre



Am Ende ist es Gregor Schneiders Totes Haus ur (1985 bis zur Gegenwart), das die vollständige Transformation des Traumas in die Privatsphäre vollzieht. Über Jahre hinweg entwickelt, findet sich Totes Haus ur in unterschiedliche Medien umgesetzt: in eine Serie skulpturaler Environments, in eine Gruppe von Fotografien und ein Video. In all diesen Medien konzentriert sich Schneider auf die als unheimlich visualisierte Erfahrung des kokonhaften Inneren des Hauses. Zugleich theatralisch und abstrakt, hat sein Haus keine Geschichte zu erzählen; Geschichte bleibt unverständlich.



3.Teil

Globale Räume



Der dritte Teil der Ausstellung, Globale Räume, beschäftigt sich mit Deutschland nach dem Mauerfall als einem kosmopolitischen und vielseitigen Ort. Während Berlin als spektakulärer Schauplatz internationaler zeitgenössischer Architektur gefeiert wird, an dem – so wird uns wenigstens erzählt – lokale Besonderheiten und globale Allgemeinheiten in den Metaphern der postnationalen Ära zusammenfallen, geht Globale Räume von einer Koexistenz des Lokalen und Globalen aus. In diesem Teil werden Themen wie Architektur im Zeitalter der Globalisierung, die Rollen internationaler Pop- und Massenkultur in der Kunst und die U-Bahn als Symbol und Ort globaler Begegnungen und neuer Kommunikationswege untersucht. Es werden künstlerische Positionen behandelt, die in die globalen Bilderkulturen eingreifen und neuen Formen der Wahrnehmung schaffen, die hochentwickelten Medientechnologien, wie Netzwerken und Digitalisierungen, entsprechen.



Hybride Welten



Die Objekte von Daniel Pflumm und die Malereien von Michel Majerus setzen unter anderem Techniken der Werbebranche ein, um die vereinheitlichenden Kräfte der Globalisierung nachzuahmen und zu vermitteln. Majerus konzentriert sich auf hybride visuelle Welten, die der globalen Zirkulation von Bildern verpflichtet sind. Seine Installation Ohne Titel (1996-2000), die aus dreißig kleinen Bildern besteht, die ein Raster formen, enthält Fragmente spezifischer Bildwelten, wie populäre Animationen, Werbungen und appropiierte Elemente aus der modernen und zeitgenössischen Kunst. Indem er unterschiedliche Bildwelten in nicht hierarchischer Weise kreuzt, setzt Majerus den Hyperlink als ästhetische Strategie ein. Majerus bietet eine mehrschichtige Seherfahrung, während sie gleichzeitig die Vorstellung von einer homogenen oder reinen Form von Kultur in Frage stellt – eine Idee, wie sie gleichermaßen mit dem Medium der Malerei und der Globalisierung verbunden ist. Auch Pflumm greift für seine Arbeiten auf das Feld der Werbung zurück: Sein Leuchtkästen eignen sich die visuelle Sprache von Firmenlogos an und verändern diese gleichzeitig, um so neue ästhetische Eigenschaften hervorzubringen.



Das Lokale und das Globale



Pflumms minimalistische Arbeiten dekontextualisieren und rekontextualisieren die Symbole des globalen Kapitalismus, um so zu verbildlichen, wie sich das Lokale und das Globale gegenseitig konstituieren. Letztlich greift Globale Räume den Gedanken auf, die U-Bahn als einen Schauplatz des digitalen Zeitalters zu begreifen, als Inbegriff für die neuen Strukturen von Raum, Zeit und Wahrnehmung. Fotografien von Wolfgang Tillmans und standortspezifische, interaktive Arbeiten, entworfen für die U-Bahn-Station Alexanderplatz, thematisieren ebenso diese veränderten Beschaffenheiten von Raum und Zeit wie auch den Status des Sehens im Zeitalter von Netzwerken und digitalen Medien. Tilmans Fotografien von Menschen in der U-Bahn fordern durch ihre dramatischen Fragmentierungen des menschlichen Körpers konventionelle ästhetische Codes heraus. Diese Fotografien wirken inszeniert und strukturiert; doch bewahren sie zugleich den Anschein unvermittelten Sehens, indem sie die visuelle Distanz zwischen Betrachter und Bild eliminieren.



Sabine Eckmann, die Kuratorin der Ausstellung, ist Direktorin und leitende Kuratorin des Mildred Lane Kemper Art Museums an der Washington University in St. Louis , wo sie auch am Department of Art History and Archaeology lehrt. Sie ist Verfasserin von Collage und Assemblage als Neue Kunstgattungen Dadas (1995) und Co-Autorin und Co-Kuratorin der Ausstellung und des begleitenden Bandes Exiles and Emigrés: The Flight of European Artists form Hitler (1997), der von der Association of International Critics of Artals bester Ausstellungkatalog des Jahres ausgezeichnet wurde. Sie ist Herausgeberin von Exil und Moderne (2004), Co-Autorin von [Grid <>Matrix] (Sreen Arts and New Media Aesthetics, No.1, 2006) und Mitherausgeberin von Caught by Politics; Hitler Exiles and American Visual Culture (2007). Eckmanns Forschungsschwerpunkte sind europäische Kunst und visuelle Kulturen des 20. und 21. Jahrhunderts mit besonderem Fokus auf die gegenseitige Durchdringung von ästhetischen Strategien und sozialen und politischen Kontexten.





Künstlerinnen und Künstler


1. Teil
Redressing Germany

Franz Ackermann  (geboren 1963, Westdeutschland)

Kutlug Ataman (geboren 1961, Türkei)

Sophie Calle (geboren 1953, Frankreich)

Tacita Dean (geboren 1965, England)

Isa Genzken (geboren 1948, Westdeutschland)

Christian Jankowski (geboren 1968, Westdeutschland)

Ulrike Kuschel (geboren 1972, Ostdeutschland)

Eva Leitolf (geboren 1966, Westdeutschland)

Olaf Nicolai (geboren 1962, Ostdeutschland)

Marcel Odenbach (geboren 1953, Westdeutschland)

Manfred Pernice (geboren 1963, Westdeutschland)


2. Teil
Traumatische Erzählungen


Rudolf Herz (geboren 1954, Westdeutschland)

André Korpys (geboren 1966, Westdeutschland) &
Markus Löffler (geboren 1963, Westdeutschland)

Via Lewandowsky (geboren 1963, Ostdeutschland)

Mariele Neudecker (geboren 1965, Westdeutschland)

Gregor Schneider (geboren 1969, Westdeutschland)

Collier Schorr (geboren 1963, USA)

Renata Stih & Frieder Schnock


3. Teil
Globale Räume

Cosima von Bonin (geboren 1962, Kenia)

Bernhard Gabert (geboren 1957, Westdeutschland)

Beate Gütschow (geboren 1970, Westdeutschland)

Michel Majerus (1967-2002, Luxemburg)

Daniel Pflumm (geboren 1968, Schweiz)

rude_architecture: Friedrich von Borries (geboren 1974, Westdeutschland),
Gesa Glück (geboren 1976, Westdeutschland), Tobias Neumann (geboren 1974, Westdeutschland)

Wolfgang Tillmanns (geboren 1968, Westdeutschland)

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