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8. Juni 2012 / Eingestellt von thw um 16:15 /

Anbei die Besprechung für 'Stuttgarter Nachrichten':


Documenta im Widerspruch
Es ist ein gelungenes Entrée am richtigen Platz. Wer seinen Rundgang auf der 13 Documenta im Fridericianum  beginnt, findet sich in einem kahlen Weißen Raum wieder, der geschickt dennoch einzelne Kunstwerke zur Betrachtung frei gibt. Dem Raum nebenan ergeht es ebenso. Selbst die Decke dieses Raumes scheint zum Ausstellungsstück zu werden. Unwillkürlich erscheint jene 'weiße Zelle' auf, die der Künstler Brian O'Doherty beschrieben hat. Gleichzeitig aber ist das Fridericianum der Mittelpunkt jeder Documenta, und ist es auch für die dreizehnte Ausgabe der wohl immer noch wichtigsten Kunstausstellung. Aber dieser leere Raum am Anfang ist der Platz, um über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses Formats  nachzudenken. Das ist um so wichtiger, weil die Documenta eben nicht mehr ein Alleinstellungsmerkmal besitzt. Zur Eröffnung an diesem Wochenende sind mindesten zwei Konkurrenten konkret zu benennen, zum einen die Manifesta in Belgien und zum anderen die Berlin Biennale.
So hat der leere weiße Raum auch den Sinne, eine Institution als eine Projektionsfläche deutlich werden zu lassen, in der die Vergangenheit ebenso viel Platz wie die Zukunft. Aber das Entree ist am Ende doch nur Fassade. Diese Documenta schlägt, was Anzahl der Künstler und der Orte alle anderen davor.  Dahinter steht zum zweiten Mal eine Frau nach Catherine David. Carolyn Christov-Bakargiev ist eine amerikanisch-italienische Autorin, Kunsthistorikerin und Kuratorin und kennt die wesentlichen theoretischen Diskussionen, die den Hintergrund für diese Version der Documenta abbilden. Auf der Pressekonferenz überraschte sie mit langen Abhandlungen über zeitgenössische Theorien. Das kann man nachlesen in dem dreiteiligen Ausstellungskatalog, wovon wahrscheinlich nur 'Das Begleitbuch' für den normalen Besucher anzuraten ist. Der theoretische Background tritt im wahrsten Sinne des Wortes in den Hintergrund angesichts der Masse von Kunstwerken und den Wegen, die betreten werden wollen, um auch keines zu verpassen.  Der Parcours umfaßt 12 verschiedene Orte, unter ihnen die Innenstadt  Kassels oder das Brüder Grimm Museum.
Diese Documenta will die Welt abbilden, in ihrer Diversität und Vielfalt. Ost und West, Nord und Süden dienen dabei nur noch als Orientierungshilfen für den Besucher, um kein Werk zu verpassen. Bequemes Schuhwerk ist angeraten, um die Karlsaue zu entdecken. Da taucht dann plötzlich eine Sanatorium auf, das seinen Namen Ehre tun will. Der Besucher kann sich anmelden für ein philosophische Gespräch oder persönliche Analyse.



Es geht auch anders: Jimmie Durham hat zusammen mit der Leiterin ein Gemeinschaftsprojekt entwickelt. Dazu wurde in der Karlsaue Korbiniansapfelbäume gepflanzt zum Gedenken an den Pfarrer und Gärtner Korbinian Aigner, der deportiert in Konzentrationslager Dachau  dort vier neue Apfelsorten züchtete.  Es lohnt sich zweimal hinzugucken. So findet sich in der Neue Galerie in Glasschränken eine Sammlung von Spielzeugeseln, gesammelt von Sanja Ivekovic. Daneben hängt ein Foto aus dem Jahre 1933, das einen Esel hinter Stacheldraht zeigt. Der eingesperrte Esel war ein Sinnbild für jene Deutschen, die bei Juden noch einkauften. Und manches ist wirklich entbehrlich.  wie das Werk von Thomas Bayerle, Dauergast der Documenta. Oder der Auftritt von Gustav Metzger, der in den vergangenen Jahre schon seine Wiederentdeckung feiern konnte und hier eher wie ein Lückenbüßer aussieht. Da rühmen wir dann doch die Gemälde von Konrad Zuse, Erfinder des ersten Computers.













Die Ausstellung ist eine tour de force in jeder Hinsicht. Wer alles sehen will, muß zwei Tage vor Ort sein und seinen Ausstellungsbesuch konkret planen. Das ermöglicht ihm ebenso einen Einblick in das umfangreiche Beiprogramm  zu nehmen. Das verweist wiederum auf einen anderen Strang der Ausstellung. So ist der Quantenphysiker Anton Zeilinger mit seinen Armaturen vor Ort, die neue Einblicke in die Quantenphysik erlauben und gleichzeitig neue Anwendungen generieren.
Auf dieser Documenta ist alles möglich und das reicht ihr nicht zu Ehre. Da taucht dann plötzlich ein Gemälde von Salvador Dali auf, das im Kontext der Quantenphysik wahrzunehmen sei. Und das zeigt sich dann der eigentlicher Fehler dieser Documenta: sie will einfach zu viel. Liegt es daran, daß die Konkurrenz größer wird? Oder gibt es für die Bildende Kunst in diesem Zusammen-hang den Anspruch, die ganze Welt zu erklären?


     ohne Titel
Den Anspruch seh' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, könnte man im Goetheschen Sinne antworten. Es liegt in diesem Falle die Rede von einer Kunst-Weltausstellung nicht in großer Ferne. Der Widerspruch aber ist erlebbar. Wer sich darauf einläßt, muß sich nicht wundern, wenn er in der Stadt Kassel die Übersicht verliert. Denn neben den Hauptplatzschauplätzen gibt es zwanzig weitere 'Spielorte' dieser Documenta, in der Stadt und außerhalb. Tatsächlich sollte ein Besuch vorbereitet werden. Das Programm und die Werke lassen  sich nicht in Gänze verfolgen, allenfalls für die Bewohner der Stadt.
Kassel ist  für die hundert Tage Kunstwelthauptstadt. Aber wollen wir das überhaupt? Oder wird die Kunst in den Augen von Caroline Cristov-Bakargiew tatsächlich zu einen Deutungsphänomen für alles und jeden. Gibt es in diesem Kontext noch die Idee von Schönheit? Und welchen Wirkungen haben der Markt auf die  Ausstellung und umgekehrt? Tatsächlich muß Gelegenheit zum  Einspruch gegeben werden. Dazu dient dann das 'Logbuch', Teil 3 des Katalogs. Und die letzte Frage: Was sagt der Markt dazu?  Wieviel Aufschlag zum Preis bietet diese Documenta 13, in Klammern, dem teilnehmenden Künstler. Wir werden es auf der nächsten Messe erfahren.
Thomas Wulffen

 
  Das unbekannte Meisterwerk in der Documenta -Halle

Vor fünf Jahren anlässlich der Documenta 12 war ich schon am Jahresanfang nervös angesichts der Ausstellung in Kassel. Und dieses Mal:
Die Pressekonferenz links liegen gelassen und erst am zweiten Tag angereist, mit einem Auftrag in der Tasche. Ich bin gerade auf dem Weg zum Ostkreuz und es klingelt mein Handy mit der Bitte, über die Documenta zu schreiben, weil der Chef selbst verhindert ist. Dann dreieinhalb Stunden im Zug und dann in die Ausstellung. Kein erhöhter Puls, sozusagen cool wie James Bond. Vor Ort in Kassel sind alle Geschäfte geschlossen: Fronleichnam.

    Gerhard Richter im Zug

P.S.: Ceal Floyer war die  Person, die vor der eigentlichen Pressekonferenz minutenlang in aller Öffentlichkeit an ihren Näglen kaute. Ein seltsames Bild, aber dennoch passend zum Ereignis.

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