Exponieren? Exponieren!

16. Januar 2007 / Eingestellt von thw um 09:46 /

Wie versprochen, veröffentlichen wir hier einen Text zum Thema "Exponieren-Ausstellungskonzepte der Gegenwart", der das Thema 'Ausstellungskonzepte' beim Wort nimmt. Der Text wurde zuerst im Kunstforum International, Bd. 112, 1991, Köln, S. 430 veröffentlicht und geht auf einen Entwurf einer Ausstellung im Jahre 1989 zurück. Der Text findet sich heute in dem Buch: Thomas Wulffen: Rollenwechsel - Gesammelte Texte, Herausgegeben vom Hermann Korte, Lit Verlag Münster 2004, S.21-22





Ausserhalb der weißen Box ?
Ausstellungsprojekt 'Fremdkörper'

Eine Black Box wird in der Kybernetik als ein System beschrieben, "dessen Struktur entweder nicht beziehungsweise nur zum Teil bekannt ist oder von dessen Struktur abstrahiert werden kann, weil sie für die Untersuchung bestimmter Zusammenhänge nicht wesentlich ist." (Georg Klaus: Wörterbuch der Kybernetik). Bekannt ist In- und Output des Systems, die Rückschlüsse auf das innere Verhalten der Black Box erlaubt. Das Gegenmodell dazu liefert die White Box, deren innere Struktur offen zutage liegt.
In einer Analogiebildung könnte diese Feststellung auch auf jene Weisse Box übertragen werden, die das Strukturmodell für den Ausstellungsraum bildet. Aber die Tatsachen verhalten sich nicht nach dem Modell. Schon die Frage nach In - und Output eines Ausstellungsraum kann in die Verwirrung führen. Sind die Kunstwerke im der Ausstellung der Input und die Reaktionen des Publikums der Output ? Können wir keine Aussagen über die Weisse Box treffen, weil sich das Kunstwerk immer in den Vordergrund spielt ? Ist das Kunstwerk ein autonomer Komplex, der ohne seine Darstellung in einem Darstellungsraum auskommen kann ? Ist die Ausstellung als Gesamtes ein geschlossenes System, das die Bedingungen der weissen Box bestimmt ? Ist der Ausstellungsraum zentrale Funktionseinheit einer Ausstellung, die keine Eingriffe duldet ? Ist der öffentliche Darstellungsraum, der nicht das private Atelier ist, notwendige Vorraussetzung zur Präsenz des Kunstwerks, in welcher Form auch immer es erscheint ? Festzustellen ist, daß der Darstellungsraum, ob Galerie, Museum oder Privatraum, notwendiges Ingredienz des Betriebssystems Kunst ist. In Grenzen wird selbst Kunst im öffentlichen Raum einen spezifischen Ausstellungsraum bestimmen, denn das Werk bestimmt hier den Kontext. Aus diesem Grund muss der Begriff Ausstellungsraum zum Begriff Darstellungsraum erweitert werden. Dieser Darstellungsraum kennt spezifische Gesetze, die nicht niedergelegt sind, aber dennoch wirksam sind. Wer diese Gesetze zum Ausdruck bringen will, muss deren Grenzen überschreiten wollen. Künstler und Ausstellungsmacher haben diesen Versuch immer wieder unternommen, um nicht nur dem Kunstwerk neue Ausdrucksformen zu erschliessen, sondern auch den Rahmen einer Veränderung zu unterwerfen.
Unter dem Titel 'Fremdkörper' hat der Autor 1988 ein Ausstellungskonzept entwickelt, das die Grenzen des Betriebssystems und des Darstellungsraums Kunst überschreitet. Das Projekt 'Fremdkörper' funktioniert auf verschiedenen Ebenen und will diese thematisieren. Vorgesehen war ein Austausch zwischen sechs verschiedenen Kunstvereinen über einen Zeitraum von sechs Monaten. Objekt dieses Austausch sind sechs verschiedene Kunstwerke von sechs verschiedenen Künstler in unterschiedlichen Medien. Eine einzelne Arbeit wird innerhalb einer laufenden Ausstellung als 'Fremdkörper' gezeigt. Das 'Band' der Objekte in der Ausstellung wird an zentraler Stelle durch den Fremdkörper unterbrochen. Die Präsentation vollzieht sich gleichzeitig in den an dem Projekt beteiligten Kunstvereinen, wobei die spezifischen Ausstellungen als Folie dienen. Diese Folie ist nicht vorgeplant, sondern wird als Teil des Betriebssystem Kunst beziehungsweise Kunstverein Teil des Projekts 'Fremdkörper'. Nach einem Kalendermonat werden die Kunstwerke innerhalb der beteiligten Kunstvereine ausgetauscht. Während der sechs Monate, die das Projekt 'Fremdkörper' dauert, entsteht so ein Netzwerk, das nur Abbildung eines allgemeineren Netzwerkes ist, das zeitgenössische Kunst bestimmt.
Die Festlegung der Präsentation des 'Fremdkörpers' auf einen Kalendermonat bedingt einen Zeitschnitt, der ebenfalls als Fremdkörper dient. Ausstellungen haben einen eigenen Zeitraum, dem der Zeitraum des Fremdkörper zuwiderläuft. Der Fremdkörper ist auch während des Ab- und Aufbau einer neuen Ausstellung präsent und soll der Öffentlichkeit, zumindest zu bestimmten Stunden, zugänglich sein. Damit wird direkt der Darstellungsraum der weissen Box und deren Funktionsweisen thematisiert. In der Gegenüberstellung von laufender Ausstellung und Fremdkörper wird sowohl das Eine als auch das Andere zum Thema. Der Fremdkörper kontextualisiert die bestehende Ausstellung und umgekehrt. Diese Kontextualisierung kann nur in der konkreten Situation wirksam werden. Sie sollte am Ende des Projektes in einem Katalog dokumentiert werden, der sowohl das spezifische Einzelwerk im Bild vorführt als auch dessen Situation in den unterschiedlichen Ausstellungskontexten, die in der Realisierungsphase durchlaufen wurden.
Die konkrete Situation wird nicht zu erfahren sein. Anfragen bei verschiedenen Kunstvereinen wurden entweder von vornherein mit einer Absage beantwortet, nicht verstanden oder auf die lange Bank verschoben. Eine Ausstellung wird als ein autonomer Komplex gesehen, in dem ein Fremdkörper keinen Platz findet. Die Thematisierung dieser Bestimmung ist nicht Inhalt des Betriebssystems Kunst. Das Ausweichen auf Museumsaustellungen, wie vorgeschlagen wurde, kann weder die Netzwerkfunktion des Projekts `Fremdkörper' verdeutlichen noch deren zeitliche Dimension thematisieren, ganz abgesehen von deren inhaltlichen Gegenüberstellungen. Der Neue Berliner Kunstverein allein hat sich ohne Vorbehalt für das Projekt engagiert und Unterstützung zugesagt. Eine Präsentation in den Räumen am Kurfürstendamm kann allerdings nur ein Testfall sein, die die inhaltlichen Bedingungen des Projekts `Fremdkörper` nur in Ansätzen erfüllt.
Lassen sich in den Reaktionen auf das Projekt 'Fremdkörper' Konstituenten des Betriebssystems Kunst feststellen ?
Zumindest werden selbst in der Absage und der Verzögerung Bedingungen des Ausstellungswesens deutlich, deren Offenlegung Teil des Projekts waren. Insofern sind Momente dieses Projektes erfüllt, ohne deren Tragweite in Realität überprüfen zu können. Der Autor wird weiter an der Realisierung des Projektes 'Fremdkörper' weiterarbeiten. Festzustellen bleibt, daß es in einem spezifischen Teil der zeitgenössischen Kunst eine Bewegung vom einzelnen Kunstwerk weg hin zu konkreten Thematisierungen der Bedingungen von Erscheinungsweisen und Ausdrucksformen innerhalb des Betriebssystems Kunst gibt. `Fremdkörper` versteht sich als ein Teil dieser Strategie und ist selbst Strategie.

Keine Kommentare: