Lektüre zum Jahresnde

26. Dezember 2008 / Eingestellt von thw um 09:48 /

Dies ist ein besonders gelungener Abgesang auf die wilden Zeiten des Kunstmarkts, geschrieben von Catrin Lorch, veröffentlicht in der 'Süddeutschen Zeitung' vom 22.12. d.J.

Man lasse sich diesen Satz auf der Zunge zergehen:

"Die Hoffnung allerdings, dass die Kunst erst exemplarisch für die Vergangenheit büßt, um dann Selbstreinigung und Umkehr vorzuleben, ist Ausdruck des gleichen Misstrauens, das den Wert eines Kunstwerks erst schätzen kann, wenn das Märchen vom mutigen, ästhetischen Kampf eines Einzelnen als Erfolgsgeschichte ausgeht, die sich in Millionensummen umrechnen lässt. Kunst ist ein Luxusgut - es ist nicht zu erwarten, dass der Kitsch, den man jetzt totschweigt, ausgestorben ist, wenn die Kunden zurückkommen."

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Luxussorgen

80 Prozent Rabatt: Über die Krise des Kunstmarkts

Die Ruinen des Finanzmarktes, das sind öde Säulen und Kurven, vielleicht noch ein Zickzack, dessen Ausschläge nach rechts niedriger abfällt oder eine sinkende Kurve. Doch ein Bankrott sieht anders aus, er soll ein Gesicht haben, besser noch: viele. Die Stimmung verlangt nach Namen, will sehen, wer geprasst hat und jetzt verzweifelt. Doch das Zeitungsfoto zeigt kalifornische Eigenheimstümpfe und die Bildunterschrift listet die Adressen von Investment-Firmen und deren Besitzanteilsverhältnisse. Die Farbe der Krise ist Grau. Aber halt, hatten sich die Regenten der Finanzwelt nicht immer mit der Kunst gezeigt? Hatten sie nicht die Künstler und die Museen ausstaffiert wie Marie Antoinette ihren Hofstaat und die kleine Molkerei im Schlosspark von Versailles? Die Londoner Tate und das MOMA in New York, die Moskauer Garage, das Centre Pompidou waren Refugien am Rande, den Machtzentren ausreichend entrückt um Ideal- und Gegenbild der Zahlenkultur, der Wirtschaftskriege und globalen Geldwelt zu sein. Dort traf man sich zum Schäferstündchen - bei Vernissagen, Kunstmessen, Galerie-Eröffnungen und dem großen Auftrieb der Auktionen.

Da trifft es sich, dass auch der Kunstmarkt von der Krise spricht: Auktionen und Galerien verzeichnen Umsatzrückgänge in zweistelliger Höhe. Jahrelang sah die Öffentlichkeit staunend zu, wie aus Leinwand und Öl erst Millionen und dann Abermillionen wurden. Die fast wundersame Geldvermehrung in den Auktionssälen war vor allem auch deshalb prickelnd, weil die Werte, die da verhandelt wurden, jeder nachvollziehbaren Grundlage entbehrten.

Paradoxerweise nährte gerade der Boom der Kunst den Generalverdacht, dass die Künstler eigentlich Falschmünzerei betreiben. Offensichtlich pinselte man in den Ateliers in Berlin und Leipzig, Warschau und Peking an einer eigenen Währung - denn am Boom waren erstmals auch Zeitgenossen beteiligt und die Spekulation erfüllte sich im Saisontakt. Aus und vorbei: "Der große Höllensturz" überschrieb der Spiegel die Abrechnung und, zum Glück für die Blattmacher, hat die Kunst viele Gesichter. Da haben noch ein paar Profile Platz, bevor einer wie Francisco Goya erneut den Zeichenstift ansetzt. Für den kühlen Realismus aus Leipzig ist eine Bank frei, wie auch für die verzerrten Figurationen britischer Nachkriegsmaler, für konzeptuelle Fotokunst, attraktive Abstraktion - all die Günstlinge der vergangenen Jahre stehen jetzt im Hemd da. Denn wem der Markt noch vor kurzem die vielstelligen Rekordpreise um den Hals legte, dem wird das Geschmeide jetzt heruntergerissen und auf den Messen und Auktionen dürfen - endlich einmal - alle dabei zuschauen. Im Kunstmarkt soll sich die globale Krise spiegeln.

So lässt sich vom Bankrott erzählen, ohne dass man sich für die Schicksale von Langweilern in Nadelstreifen interessieren muss. Der Kunstmarkt formuliert in Pointen: Die Pleite der Lehman-Brothers und die Auktions-Coup des Künstlers Damien Hirst - seine Direktvermarktung aus dem Atelier via Sotheby"s - fielen auf einen Tag, den 15. September. Und während das Goldene Kalb (eingelegt in Spiritus) im Londoner Auktionshaus beboten wird, gehen Richard Fuld, Chef des Bankhauses Lehman Brothers, und seine Frau Kathy in Manhattan bereits durch ihre Räume und sortieren aus. Nur vier Tage später werden sie ihren eigenen Ausverkauf bei Christie"s annoncieren, weitere drei Tage danach vereinbart man, welche Bankhäuser den ersten Zugriff auf die Kunstsammlung in den Büros erhalten. Und nicht ohne Häme wird notiert, dass die private Sammlung zusammengenommen dann doch keine 20 Millionen Dollar erbrachte, sondern nur 13 - die Namen? Ach, ja: Barnett Newman, Agnes Martin, Willem de Kooning und Arshile Gorky.

Die Auktionen in New York und London bilden von da an den Wertverfall ab, wie ein Thermometer. Mit Impressionismus und zeitgenössischer Kunst wird ein knappes Drittel weniger umgesetzt, kaum ein Los wird für mehr als den unteren Schätzpreis zugeschlagen - wenn überhaupt. Die hohen Garantiesummen, die man Verkäufern für ihre kostbare Ware zusicherte, belasten die schlechte Gewinnsituation zusätzlich. Auch Sotheby"s ist nur noch neun Millionen Dollar wert, ein Jahr zuvor waren es noch mehr als 50 Millionen. Wieder ist die Kunst schuld. Allein die Spitzenkräfte, Tänzerinnen von Edgar Degas oder Edvard Munchs Vampire, lassen sich noch absetzen. So führt Tobias Meyer vom Auktionshaus Sotheby"s die feinsinnige Differenzierung zwischen "Good Art" und "Great Art" ein. In einem Markt, der groß ist, der in so viele Segmente zerfällt - weil Oligarchengattinnen aus Moskau nun einmal andere Kunst einkaufen, als rheinische Ärzte oder Londoner Geschäftsleute - der von Geschmacksurteilen genauso bestimmt ist, wie von Moden und der als Korrektiv gehandelten Kunstgeschichte, sind solche Qualitätsfragen vorsätzlicher Selbstbetrug.

Wo weniger Geld im Umlauf sei, so nun die These des Kunsthandels, seien es die wirklich großen Meisterwerke, die nicht an Wert verlieren. Wer das ist? Teure Gemälde, sagen die großen Auktionshäuser, die unterbewertete Kunst der Nachkriegszeit sagen die einen, mutige Spekulations-Objekte, die jetzt günstig zu haben sind, behaupten die Händler des Secondary Market. Dass Alte Kunst und Kunsthandwerk, die als Tribal Art angebotene Volkskunst und Asiatika von der Baisse nicht betroffen sind, zumindest nicht in Europa, haben die Versteigerungen von Lempertz, Grisebach oder Ketterer bereits bewiesen, die während der vergangenen Wochen sogar knapp an die erfolgreichen Umsatzzahlen der Vergangenheit anschloss.

Eine Szene hat die Unsicherheit schon seit längerem zum Diskurs veredelt: Vor allen anderen waren es die Händler und Galeristen von zeitgenössischer Kunst, die schon seit dem Beginn der Immobilienkrise im August des Jahres 2007 spürten, dass, wo Bonuszahlungen fehlen, weniger Kunst gekauft wird. Bereits im Januar hatte der Schweizer Galerist Ivan Wirth gesagt, dass eine Korrektur "spekulativer Verzerrungen im Markt sogar gesund" sei. In den halbleeren Gängen der Messe-Vernissagen wurde dann im Herbst ungestört von gierigen Sammlern diskutiert über kluge, komplizierte, sperrige Strömungen. Daran stimmte vor allem, dass die Anreisenden deutlich kleinformatigere, weniger grelle Arbeiten im Gepäck hatten - man war vom vergangenen Jahr vorgewarnt. So überstand die Szene zunehmend illusionsloser die Londoner Frieze, die anschließende FIAC in Paris, das Berliner Artforum, Turin - und schlussendlich auch die Art Basel Miami Beach, den Partyspaß, zu dem sich die Sammler kurz vor Weihnachten am Strand treffen.

Die Party fand statt, es fehlte der Spaß. Während es in Florida in diesem Dezember unerwartet winterlich war, zeigte sich dort die Kälte eines "Käufermarktes". Zum einen, so die Erkenntnis vieler Galeristen, reisen diese Käufer nicht, wenn sie nicht kaufen können, ob vor der Frieze oder während der Vorbereitung der ABMB - die Organisatoren der Vernissagen-Dinner hatten Mühe, die Tischkärtchen rechtzeitig wieder einzusammeln. Es fehlten auch jene, so erzählt eine Messe-Veranstalterin, die eigentlich das Geld hätten, es jedoch als unfein empfinden, sich beim Ausgeben beobachten lassen. Andere rechnen damit, dass die Talsohle preislich noch nicht erreicht ist und warten auf das Frühjahr. Wer gerne einkauft, fürchtet nichts mehr, als dass er heute für etwas bezahlt, das er morgen billiger zu haben ist. Und nirgends ist man so frei zu verhandeln, wie bei der Ware Kunst: Ein bekannter Sammler versuchte in Miami die Preise auf das Jahr 2003 zurück zu datieren und zusätzlich noch einen Abschlag von einem Drittel herauszuholen. Nach den Messen gab es Stornierungen, Zahlungsausfälle, Nachverhandlungen. Und auch solide, international arbeitende Händler müssen Museumsware vor Feilschern schützen, die ungeniert achtzig Prozent Nachlass für verhandelbar halten. Dass es Berliner Galeristen gibt, die ihre Lager im Notverkauf räumen, indem sie Zeichnungen für 4000 Euro verramschen, die vor kurzem noch mit 16 000 Euro ausgezeichnet waren, spricht sich eben herum.

Der Markt für Zeitgenössisches schrumpft. Das sieht einerseits so aus, dass man Standorte aufgibt und Flächen, dass man Mitarbeitern kündigt - wozu auch die hochtourig arbeitenden Künstlerateliers gezwungen sind. Noch sind sich die Veranstalter der Messen sicher, dass ihre Geschäfte nicht eingehen, auch wenn man in Köln eine Halle streicht und in den USA Veranstalter zwischen New York und Chicago für das nächste Frühjahr Absagen verkraften müssen. Doch die schicken, temporären Kunst-Malls werden öffentlich gefördert, von Messe-Gesellschaften betrieben oder von Investoren wie Christopher Kennedy in großen Portfolios gehalten, der unter anderem die Armory Show, die Volta und die Art Chicago sein eigen nennt. Solchen Vorzeigebesitz gibt man zuletzt auf, vielleicht streicht man ein paar Quadratmeter.

Wer kürzlich als Galerist eine Dependance nach der anderen anmietete, reduziert jetzt die Öffnungszeiten, plant weniger Ausstellungen, reist nicht zu jeder Messe. Die Auktionshäuser kündigen dünnere Kataloge an, Garantiesummen sind abgeschafft - wie auch alle Experimente: Eine Sotheby·s-Auktion Takashi Murakami - nach dem Vorbild von Damien Hirst - wird abgesagt. Berliner Nachwuchs-Galerien überlegen sich, ob es für sie eine Ehre ist, am Gallery-Weekend der Arrivierten im Frühjahr teilzunehmen - oder einfach nur teuer. Vor allem gilt es, Stille zu bewahren. Kunst ist eine feine Ware. Und ein unendlich verfügbarer Rohstoff.

Die Hoffnung allerdings, dass die Kunst erst exemplarisch für die Vergangenheit büßt, um dann Selbstreinigung und Umkehr vorzuleben, ist Ausdruck des gleichen Misstrauens, das den Wert eines Kunstwerks erst schätzen kann, wenn das Märchen vom mutigen, ästhetischen Kampf eines Einzelnen als Erfolgsgeschichte ausgeht, die sich in Millionensummen umrechnen lässt. Kunst ist ein Luxusgut - es ist nicht zu erwarten, dass der Kitsch, den man jetzt totschweigt, ausgestorben ist, wenn die Kunden zurückkommen. CATRIN LORCH

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