Schauder oder Zauber?

21. März 2010 / Eingestellt von thw um 12:28 /



Dorothee Golz: Der Perlenohrring, 2009, C-Print/Diasec, 188 x 140 cm


Als ich die Einladungskarte mit diesem Bild auf der Vorderseite in der Hand hielt, war ich tatsächlich ebenso bezaubert wie abgestossen. Als hätte jemand den 'Ulysses' von James Joyce noch mal neu geschrieben oder die 'Goldberg Variationen' von Johann Sebastian Bach würden auf einer Hammond Orgel gespielt werden.

Dabei ist das Photo sicherlich 'state of the art', im wahrsten Sinne des Wortes. Was hier digitale Bearbeitung und Aufnahme ist, lässt sich nicht mehr entscheiden. Die Künstlerin selbst spricht von 'Digitalen Gemälden'. Und mit diesen Arbeiten ist sie bekannt geworden, wobei der digitale Effekt immer deutlich war.

In diesem Beispiel wird dieser Effekt in den Hintergrund gerückt, weil diese Ansicht sich von vornherein als eine Konstruktion gibt. Allerdings nicht für jene, die das Gemälde 'Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge' von Jan Vermeer van Delft (1623 - 1675) nicht kennen, dessen erhaltenes Werk sich auf 35 Gemälde reduziert. Das 'Vorbild' hängt heute im Mauritshuis in Den Haag und wird auf das Jahr 1665 geschätzt. Was man im Original sieht, ist der Frauenkopf mit Turban und Perlenohrring.

Das 'Abbild' von Dorothee Goltz ist dem gegenüber weitschweifig und setzt das Mädchen in ein Ambiente, das aus der Zeit gefallen ist. Lampenschirm und vor allem die Gläser auf dem Tisch können eine Art Referenz auf Vermeer sein. Aber die Figur des Mädchens in einer Stoffjacke und Jeans ist zeitgemäss. Im Hintergrund ist ein Metallkoffer zu sehen, der als ein Hinweis auf die Machart des Fotos gelesen werden kann, denn dieser Koffer könnte die Plattenkamera enthalten, mit dem das Bild aufgenommen wurde.

Was einem am Ende irritiert, ist die Tatsache, dass das Bild zu ausgewogen ist und dessen Inhalt jede Werbeanzeige von Deutscher Bank oder Deutsche Börse schmücken würde. Und in weiteren 345 Jahren drücken wir dann die Hand dieser Person und bewundern das herrliche Perlenohrgehänge, dessen Ursprung unsere Nachfahren nicht mehr kennen.

Ausstellung Dorothee Golz - Der Perlenohrring, Charim Galerie, Dorotheergasse 12, Wien 4. März - 10. April 201o

Keine Kommentare: