Wo? Oh,wo?
12. Januar 2012 / Eingestellt von thw um 18:47 /
Den Text habe ich wieder gefunden. Er gefällt mir immer noch, auch wenn er aus dem Jahre 2009 stammt. Jetzt frage ich mich nur: Ist der Text veröffentlicht worden und an welcher Stelle? Sachdienliche Hinweise nehmen wir gerne entgegen.
Spreu vom Weizen
Einige mögen sich jetzt tatsächlich
die Hände reiben. Mag sein, dass sie es zu früh tun. Oder zu spät. Dennoch ist
die Situation in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Die Kapitalverluste im Rahmen
der derzeitigen Finanzkrise lassen sich
nicht mehr in überschaubaren Zahlen beschreiben. Verluste von 23 Billionen
Dollar steht ein weiterer Verlust von 57 Billionen Dollar gegenüber, weil eine
Blase platzen könnte, die durch spekulative
Kreditversicherungen entstand.
Dem gegenüber sind die Gewinne und Verluste auf dem internationalen
Kunstmarkt Peanuts. Und es mag von daher herrühren, dass sich die
Finanzkrise im Bereich der Bildenden Kunst nicht so vehement abzeichnet wie es
beispielsweise beim Automarkt sich darstellt.
In New York aber hat man sich vor
kurzem zusammen gefunden, um über eine Ästhetik der Rezession zu sprechen. Auf
dem Podium saßen sich gegenüber Hal Foster, Professor Kunst
und Archäologie at Princeton, und David
Joselit, Professor für Kunstgeschichte Yale, in einem Gebäude, das selbst ein
Opfer der Rezession ist. Einstmals beherbergte es die Dia Art Foundation und
nun wird es als temporärer Kunstraum benutzt. In der gegebenen Situation
antwortet die Institution schon auf eine Frage eines ganzen Fragenkatalogs, der
eine Grundlage für die Darstellung vor Ort bildete. Diese Frage lautete ganz
einfach: Kann das Museum der neoliberalen Ära aufrecht erhalten werden? Und die Antwort lässt sich im europäischen
Kontext ganz einfach geben: Wenn der Staat an dieser Stelle einspringen will, dann
wohl doch.
Dass wir an dieser Stelle den Staat
einbringen, geschieht im Hinblick auf eine wesentliche Unterscheidung. Im
Gegensatz zu den USA gibt es hier eine staatliche Verantwortlichkeit für
Bildung, die man auf der anderen Seite des Ozeans nicht so sehen mag. So hören
wir zwar von Absagen etlicher Sponsoren, die auch etliche Projekte gefährden,
aber Liam Gillick wird wohl nicht das Handtuch schmeißen, weil die Deutsche
Bank sich aus der Förderung des deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig
zurück gezogen hat. Werden wir im Juni dann eine verkleinerte Biennale vor uns haben? Das ist nicht zu befürchten, eher wird man
vor Ort im jeweiligen Staat einige Atelierhäuser schließen oder sie direkt an
die Künstler übergeben. Und damit findet sich dann doch auch eine andere
Antwort für den Fragenkatalog zur Ästhetik der Rezession oder, um näher am
amerikanischen Wortlaut zu bleiben, der rezessionalen Ästhetik.
Wollten wir diese Begriffbestimmung
wirklich ernst nehmen, sähen wir uns
dann nicht in den vergangenen Jahren
einer expansiven Ästhetik gegenüber? Schließlich ist das Gegenteil von
Rezession die Expansion. Unter dem Titel einer 'expansiven Ästhetik' könnte man
dann diese Jahre des stetigen Aufschwungs eines heiß laufenden Kunstmarkts
rubrizieren. Allerdings hätte dieses Phänomen diese Begriffsbestimmung kaum
verdient. Denn der Markt betrieb wohl
alles anders als eine begriffliche Expansion der Kunst. Bis auf wenige Ausnahmen wurde das
'klassische' Repertoire hochgehalten. Wer da von 'künstlerischer Intelligenz'
oder 'Dematerialisation' sprechen wollte, den hätte man weg geschickt, um die
Post zu holen.
Zugegebenermaßen leidet der Begriff
an einem Missverständnis besonderer Güte. Zum einen hat kaum einer nach einer
Ästhetik der Hausse auf dem Höhepunkt des Kunstmarkts gefragt und diese
Ästhetik wäre dann wohl auch auf taube Ohren gestoßen. Zum anderen lassen sich Geschehnisse wohl
auch besser analysieren 'post faktum'. Das hat Gerrit Gohlke gerade in aller
Ausführlichkeit
getan und den Finger in die Wunde gelegt: "Dann sollte man auch fragen, ob
die Ähnlichkeit zwischen den Hedge-Fonds und dem Kunstbetrieb zuletzt deshalb
tiefer ging, weil auch Teile des Kunstmarktangebots bereits einem
Schneeballsystem glichen, in dem man nur deshalb auf die materielle Deckung des
aktuellen Preises vertrauen konnte, weil man wusste, dass der nächste Preis mit
gesetzmäßiger Berechenbarkeit noch höher ausfallen würde."
In dieser Sicht sind Kunstwerke
dann 'Derivate' in ganz besonderer Art und Weise. Diese Derivate besonderer Art
wurden publizistisch auf eine Weise begleitet, dass deren Charakter tatsächlich
eher einer Aktie glich als einem Kunstwerk, dessen Wert im umgekehrten
Verhältnis zur Bedeutung stand. Abzulesen war das beispielhaft an dem
Ausstellungszirkus der letztjährigen Jeff Koons Tournee. Es fällt schwer dabei
von einem Beitrag zur Kunstgeschichte zu sprechen.
Gerade das Werk von Koons steht für
die Abkopplung des Wertes von der Bewertung. Aber gerade diese Bewertung blieb
das große Manko. Zum einen weil die Verkäufer und Verkäufer an einer Bewertung
gar nicht mehr interessiert waren, zum anderen weil die Kunstkritik selbst sich
dem Markt mehr oder minder ergeben hat. Wenn einer der kritischen klugen Köpfen
dahinter seinen Platz in der Redaktion verlässt, dann ist mehr als ein Zeichen,
es ist ein Symptom. Für andere kritische Köpfe findet sich schnell ein Ersatz,
es ist ja nicht nur en vogue Künstler zu sein, es ist auch en vogue als
Kritiker oder Kritikerin aufzutreten.
So taucht dann im Fragenkatalog der
Rezessionästhetik auch dieser Satz auf: Wie wird Kunstkritik wieder bedeutend?
Und auf allen Podien und seien es eines zum Werk von Harun Farocki anlässlich
einer Ausstellung in der Galerie Barbara Weiss wird diese Frage gestellt, hier
auf das Tablett gehoben durch Diedrich Diederichsen. Tatsächlich steht das Werk
von Harun Farocki im Kontext einer Galerieausstellung ja auch für die Expansion
der Werkbegriff einer zeitgenössischen Kunst. Handelt es sich hier um
Kunstwerke? Ja und nein. Sicherlich lässt sich das Werk von Harun Farocki unter
dem Signum einer expansiven Ästhetik rubrizieren. Weniger Wohlgefallen und
Ambiente, eher Wissensproduktion als Wissensverarbeitung im Sinne einer
künstlerischen Intelligenz. Die findet die Mittel der Darstellung gemäß einer
Logik, die dieser Intelligenz inhärent ist und nicht dem bloßem Markt gehorcht
oder den Ansprüchen einer wie immer gearteten Öffentlichkeit. Dass man
derartigen Werken und Arbeitsweisen nachforschen muss, spricht nicht dagegen.
Es ist allerdings ein Einwurf gegen eine bloße Marktkunst, deren Ausdruckmittel
und Medienvielfalt doch sehr beschränkt sind. Lifestyle ist eben doch eher
beschränkt gegenüber dem Verlangen nach Erkenntnis und sei es in der
Diversifikation.
Davon lässt sich hier sprechen, Diversifikation
eines Kunstbegriffs wie auch Diversifikation einer Angebotspalette. Das erstgenannte mag einem avancierten
Verständnis zeitgenössischer Kunst durchaus zustatten kommen. Vielleicht gibt diese Baisse im Sinne einer
Rezessions-Ästhetik wieder Anlass dazu, sich über Formen, Medien und
Distribution zeitgenössischer Kunst Gedanken zu machen, die über den
beschränkten Rahmen von Märkten, Galerien und Kunstvereinen sowie Museen hinaus
gehen. Welche Vermittlungsinstanzen können in der gegebenen Situation noch
Bedeutung beanspruchen oder avanciert genannt werden. Wenn eine andere Ästhetik
wieder Aufmerksamkeit dafür schafft, dann wäre viel gewonnen.
Das zweit genannte, Diversifikation
der Angebotspalette, ist dann eher unwillkommene Begleiterscheinung. Aber mit
dem Hinweis auf die Begleiterscheinung lügen wir uns etwas in die Tasche. Denn eines sollte auch jetzt klar sein, auch
wenn die Hausse vorbei ist und man sich wieder den 'wichtigen' Fragen zuwenden
darf: Kunst ist immer auch Geschäft. Mal ein gutes Geschäft, mal ein
schlechtes. Und dieses Bewertung betrifft diesmal nicht die Umwandlung von
Material in Geld, sondern die jeweils spezifische Transsubstantiation. Wir
greifen hier bewusst auf einen Begriff aus der Theologie zurück, um Distanz zu
gewinnen zur Kunst als Derivat. In diesem Sinne verteidigen wir den 'Verkauf'
von Werken Harun Farockis, während wir den Verkauf von Werken von Jeff Koons
kritisieren und ablehnen. Dass bei einer derartigen Wertung dabei Vorlieben und
Bewertungen einfließen, ist erwünscht. Wer argumentative Strenge einfordert, ist an dieser Stelle nur
zu faul, zu der eigenen Meinung zu stehen.
Vielleicht ist die gegebene
Situation tatsächlich eine Möglichkeit, die persönliche Meinung als ein
Argument zu stärken. Argument und
Meinung stehen offiziell im Widerspruch, aber wer genauer hinschaut begreift,
dass es sich dabei auch um Spreu und Weizen handelt. Kein Weizen ohne Spreu,
kein Spreu ohne Weizen.
Thomas Wulffen
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