Vorschau

8. September 2010 / Eingestellt von thw um 17:45 /

Demnächst erscheint der zweite Band des Kunstforum zum Thema

Kunst der Fiktion


Hier das Cover des ersten Bandes



Das Cover des zweiten Band wird noch bearbeitet und ich bin schon neugierig. Im zweiten Band wird eine gekürzte Version dieses Editorials erscheinen:

Funktion Fiktion

Der Test auf die Wirklichkeit bleibt eine Täuschung, auch wenn wir uns dabei eine blutige Nase holen. Aber diese blutige Nase ist Teil der gleichen Wirklichkeit, die wir gerade testen wollten. Somit befinden wir uns in einem infinitem Regress. Um aus diesem Regress heraus zu kommen, brauchen wir etwas, dass sich von der Realität unterscheidet und dabei doch auch Vergleichsmöglichkeiten bereit hält. Derartige Anforderungen erfüllt die Fiktion, sowohl im Modus der Referenz als auch in der Differenz. Die Differenz offenbart sich,wenn man nach der Herkunft des Wortes fragt. Es leitet sich ab vob lateinischen fingere, was folgende Bedeutungen beinhaltet „gestalten“, „formen“, „sich ausdenken“. Wo 'Realität' immer schon vorhanden ist, ist Fiktion ein Moment der Gestaltung, der Formung, wenn nicht sogar schon 'Form'.

Mit dem Begriff der Form aber sind wir schon sehr nah an der Kunst und deren Formgestaltung. Das hat sehr wenig mit Design zu tun und dem begleitendem Schlachtruf 'form follows function' (Form folgt der Funktion). Im Falle der nicht angewandten Kunst müsste der Schlachtruf lauten: 'form denies function' (Form verleugnet Funktion). Zumindest kann das gelten für die abstrakte Kunst, die nicht mehr abbilden will, höchstens noch sich selbst: Kunst der Fiktion. Das stellt gleichzeitig die Frage nach dem Verhältnis zur Wirklichkeit: Fiktion der Kunst. Die bildende Kunst ist keine Kunst der Dokumentation. Selbst der Realismus ist kein Akt der Dokumentation, sondern ein Akt der richtigen Abbildung. Das abstrakte Moment hat gegenüber dem realistischen immer den Vorrang. Insofern liesse sich behaupten, Kunst sei selbst eine Fiktion. Deren Darstellungsmittel, Leinwand, Öl sind real, dem damit erstellten 'Bild' kommt der Status des Fiktiven zu.

Die Funktion 'Fiktion' dient dazu, den Realitätsgehalt fest zu stellen. Dieser ist mittlerweile immer mehr zur Disposition gestellt angesichts einer Bilderfülle, die jegliche Dimension überschreitet. Das hat seine Folgen. Können wir uns noch die unschuldigen Bilder von Didier Bay vorstellen (siehe Kunstforum Bd. 202, S.72 bis 75), ohne an eine Überwachungskamera zu denken. Erwarten wir hier nicht eine Inszenierung der Wirklichkeit? Tatsächlich mag uns ein Blick auf die Entstehungszeit, Ende der siebziger Jahre, beruhigen. Aber was heisst das für die unmittelbare Gegenwart?

Im Jahre 1987 hat der Autor eine Themenheft des Kunstforum veröffentlicht mit dem seltsamen Titel 'Realkunst-Realitätskünste' (Bd. 91). Die 'Erklärungmuster' für diese spezifischen Äusserungen einer zeitgenössischen Kunst lauteten damals:

Internalisierung der Kunst

Ästhetisierung der Alltäglichkeit

Fiktionalisierung der Realität

Unter dem letztgenannten lassen sich folgenden Zeilen finden: "Das Spektakel im Sinne Debords ist tatsächlich zur Wirklichkeitsform geworden: »Das Spektakel ist nicht ein Ganzes von Bildern, sondern ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen.« (Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Hamburg 1978, S. 6,) Dieses Verhältnis und deren Konsequenzen sind mit dem Stichwort 'Fiktionalisierung der Realität' bezeichnet worden. Wenn das Bild nicht mehr als Bild erscheinen kann, weil der Gegenstand schon selber zum Bild geworden ist, wie kann er gerettet werden?

Was hat sich geändert? Nicht viel und dennoch genug. Die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion ist nicht mehr eindeutig zu ziehen. Was damals 'Spektakel' genannt wurde, könnte heute Fiktion genannt werden, wobei der Begriff 'Spektakel' damals und auch heute noch negativ besetzt ist.

Dazu kommt ein weiteres wichtiges Momentum, dass sich im Jahre 1987 noch nicht so deutlich zeigte: der digitale Komplex. Das Wort 'Komplex' steht hier bewusst, weil es sich tatsächlich um einen gesellschaftlichen Wandel handelt, der nur andeutungsweise mit dem Begriff 'Komplex' angedeutet werden kann. Der Umbruch war und ist schleichend, aber er hat Auswirkungen auf die Bildhaltigkeit unserer Realität, insofern das Bild nicht mehr als Abbild zu identifizieren ist. In den Architekturen von Maja Weyermann deutet sich dieser Wandel: die Räume sind digitale, sowohl in der Produktion als auch in der Abbildung. Ihre 'Bewohnbarkeit' ist tatsächlich fiktiv, und dennoch erscheinen die Räume als real, auch in ihrer eigentümlichen Verzerrung. Von diesen Räumen zu den Hotels und Erholungsressorts von Monica Studer und Christoph van den Berg ist es nur ein kurzer Weg. Da ist die 'Virtual Tourism Organisation' dann auch real wie virtuell.

Modelle

Wenn das Modell als Realität Akzeptanz erfährt, dann verändert sich der Sinn und der Gebrauch des Modells. Welchen Status nehmen die Mikronationen ein, von denen Susan Kelly berichtet in Rückblick auf das erste Treffen der fiktiven Staaten. Die Fiktion eines Staates hat einen spezifischen Sinne. Wo Thomas Morus sein 'Utopia' fingieren musste, können die Micronationen schon mit offiziellen Vertretern auftreten. Gegenwart und Geschichte vermischen sich, sei es in der virtuellen fiktiven Fluglinue 'Ingold Airlines' oder der Entdeckung der verschollenen Volkes der Khuza. Deren Vorstellung auf der Ausstellung 'Sieben Hügel' , im Jahre 2000 im Berliner Martin-Gropius-Bau, löste einen kleinen Skandal aus. Würde man heute ähnlich reagieren auf diese Entdeckung? Nein, denn die Differenz zwischen Wahrheiz und Fiktion ist kleiner geworden. Wir sind es mittlerweile gewohnte, mit Modellen zu arbeiten, deren Wahrheitsgehalt sich erst in der Benutzung, im Gebrauch erschliesst. Wenn die Eintrag zum 'Museum für Moderne Kunst München' teilweise aus dem Internet Lexikon Wikipedia gelöscht werden, dann nimmt sich das Lexikon selbst zu Ernst und missversteht seine eigene Bedeutung. Das sich der Künstler hinter dem fingierten 'Museum für Moderne Kunst München' dagegen wehrt, ist nachvollziehbar, erreicht er doch mit der Nennung in Wikipedia eine ganz andere 'Besucherschicht'.

Der übliche Werkbegriff der zeitgenössischen Kunst ist hier aufgehoben. Die distinkte, unterscheidbare Einheit geht auf im Begriff des 'Modell' als fiktive Entität. Kunst wird zur Modellbildung. Und die schafft dann auch gleichzeitig die Kreation eines dazu passenden Künstlers.

Die Figur des Künstlers

Gegenüber dem Werk behauptet die Figur des Künstlers den Vorrang. Gottgleich schwebt er als Schöpfer neuer Welten über dem Volk, das dem pontifex maximus huldigt. Die Legenden zum Künstler bevölkern die abendländische Literatur. Die Legenden sind Fiktionen und dennoch zeigt sich in diesen Fiktionen der Vorrang des Künstlers gegenüber dem Werk. Davon lässt sich ein Abglanz noch finden in Daniel Kehlmanns Künstlerroman 'Ich und Kaminski'. William Gibson schreibt ein Buch über den Künstler Nat Tate und lässt zu Veröffentlichung Andy Warhol auftreten. Stefan Koldehoff hat in einer umfangreichen Studie dargestellt, wie der Kunsthändler Julius Meier-Gräfe den Künstler Vincent van Gogh 'erfindet'. Und die Figur Andy Warhol ist die Erfindung eines Künstlers mit dem selben Namen. Der Schritt zum unbekannten Künstler ist eine späte Konsequenz. Dieser Unbekannte Künstler war überall dabei, bei den Trinkgelagen und bei den Kunstereignissen. Aber wir haben ihn irgendwie übersehen. Mit der Anwesenheit des Unbekannten Künstlers aber wird die Kunstgeschichte selbst zu einer Fiktion. Da kann man dann auch den Ausstellungskatalog der 'International Exhibition of Modern Art' finden, mit dem Ort New York und dem Datum 'Februrary Seventeenth to March Fifteenth' 2013.

Oder man ruft die Funktion des Anonymen Künstler auf, der als Widerspruch zum eigentlichen Künstler zu verstehen ist. Stefan Heidenreich hat zu dieser Funktion in seinem Beitrag 'N.N.,o.T.-Das Gesetz des Eigennamens in der Welt der Kunst' das Wesentliche gesagt. Dennoch gibt es die Figur von 'Luther Blisset', deren 'Anonymität' noch nicht aufgedeckt wurde. Verbirgt sich dahinter eine Gruppe oder einzelnes Individuum? Keine Antwort. Ähnlich verhält es sich mit der Künstlergruppe 'Claire Fontaine', deren Mitglieder vielleicht nur dem Galeristen bekannt sind.

Sollten wir also annehmen, dass ein wesentlicher Zug der sogenannten Bildenden Kunst eine Erzählung ist, die sich den Anschein des Faktischen gibt. Zumindest gibt es die Erzählung oder die Erzählungen einer bildenden Kunst, auf die man sich einen Reim machen kann. Fakt und Fiktion liegen nahe beieinander. Und manchen mag die Nähe unangenehm berühren. Aber eine Historie der zeitgenössischen ist immer auch eine 'Geschichte', im doppelten Sinn des Wortes. Vielleicht ist die Fiktion nur eine Seite der Realität, die wir wahrnehmen, als sei sie Realität.

Thomas Wulffen


[i] Ein unendlicher Regress liegt vor, "wenn die Bedingung (Ursache) selbst wiederum ein Bedingtes (Wirkung) ist und dies sich unbegrenzt fortsetzt". Siehe http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/654343#cite_note-0

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