Vergangenheitsvergesslichkeit

21. Juni 2009 / Eingestellt von thw um 14:24 /

Wie bitte?

Ja, das Wort heißt tatsächlich Vergangenheitsvergesslichkeit und soll den Umstand beschreiben, das jemand, bewusst oder unbewusst, die Vergangenheit vergisst oder vergessen will. Das ist zumindest bei der Absage der Ausstellung von Raimund Kummer hier in Berlin durch den Hauptstadtkulturfonds stark zu vermuten.

In der Tageszeitung vom 17.Juni d.J. fand sich auf der Seite der Berlin Kunst folgender Text aus meiner Hand:

Vergangenheitsvergesslichkeit
Soll es als ein Symptom gelesen werden oder ist es nur ein Ausrutscher? Ende Mai wurde im Kunstmuseum Bonn eine imposante Ausstellung mit Werken von Raimund Kummer eröffnet. Der Katalog zur Ausstellung umfasst ziemlich genau vierhundert Seiten und lässt deutlich werden, dass es sich bei der Ausstellung um eine Art Retrospektive handelt. Das ist schön und gut und Raimund Kummer hat die Ausstellung verdient. Allerdings hat er die Ablehnung der Übernahme der Ausstellung nach Berlin nicht verdient. Ein Antrag auf Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds wurde abgelehnt. Wahrscheinlich blieb kein Geld mehr übrig, weil man mit 190.000 € die Ausstellung von Olafur Eliasson fördern will. Aber auch das kann als ein Symptom gelesen werden. In der Liste der geförderten Projekte ist diese Ausstellung der höchste Betrag für ein Projekt bezogen auf den Förderungszeitraum von einem Jahr.
Dahinter lässt sich zum eine Art Gegenwartstaumel vermuten, denn Eliasson ist ein wichtiger Künstler in allen Feuilletons. Man könnte ihn allerdings auch als running gag bezeichnen. Mit einer Ausstellung zum Werk von Olafur Eliasson, ausgerichtet von den Berliner Festspielen, bewegt man sich auf der sicheren Seite. Die Feuilletons werden berichten, die Fernsehanstalten Einblicke in die Schau liefern und die Zuschauer strömen. Es ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die sehr wenig mit Kulturpolitik zu tun hat oder zumindest mit dem, was man unter Kulturpolitik bis dato verstand oder verstanden wissen wollte. Aber von einem Kultursenator, der gleichzeitig Bürgermeister ist, darf nicht mehr erwartet werden auch wenn André Schmitz sich noch so sehr bemüht, die letzten Kartoffeln aus dem erloschenen Feuer herauszuholen.
Wenn Kulturpolitik allerdings zum Stadtmarketing abgewertet wird, dann ist eine Förderung von Olafur Eliasson durchaus angeraten. Aber dann sollte man den Hauptstadtkulturfonds doch gleich Ulrich Nußbaum, dem neuen Senator für Finanzen, in die Hände geben.
So wird aus der Ablehnung der Ausstellung von Raimund Kummer dann doch ein Symptom. Nennen wir es der Einfachheit halber das Symptom der Vergangenheitsvergessenheit. Das ist das Ergebnis einer Gegenwartsduselei, der man sich gar nicht bewusst ist nach dem Motto: So viel Gegenwart wie möglich, so viel Vergangenheit wie nötig. Und Vergangenheit braucht man in der Kunstmetropole der Gegenwart offensichtlich nicht. Die Stadt läuft Paris den Rang ab und demnächst werden wir New York ins zweite Glied stellen. Wir sind berauscht von dieser Gegenwart und übersehen dabei, dass diese Gegenwart auch eine Vergangenheit hat und diese Vergangenheit beginnt nicht mit dem Mauerfall. Oder wollen wir das übersehen, weil es der endgültigen Vereinigung im Wege stehen könnte?
Ja, es gab eine Kunstszene in West-Berlin und es gab eine Kunstszene in Ost-Berlin. An letztere mag man noch erinnern angesichts der mit Blindheit geschlagenen Kuratoren der Ausstellung 'Sechzig Jahre- Sechzig Bilder'. Blindheit kann man allerdings der Jury des Hauptstadt-kulturfonds vorwerfen für die Auswahl der üblichen Verdächtigen (in Worten: Bea Stammer) und der Leugnung der Vergangenheit.
Raimund Kummer war mit Hermann Pitz und Fritz Rahmann Gründungsmitglied des sogenannten Büro Berlin. Seit 1987 arbeiteten sie zusammen und luden befreundete Künstler und Künstlerinnen zu ihre Ausstellungen ein, die zum Teil in aufgelassenen Häusern stattfanden oder direkt im öffentlichen Raum. Allein der Begriff des öffentlichen Raumes und dessen Ver-Wendung im Werk von Raimund Kummer hätte genug Anlass gegeben, die Ausstellung zu fördern. Büro Berlin entdeckte diesen als eine künstlerische Ressource und man ist froh, dass man selbst damals dabei war. Denn der öffentliche Raum ist heute nur noch Chimäre, gut genug für eine Verdichtung und Verleugnung, beispielhaft vorgeführt in der Diskussion um das Marx-Engels-Forum. Aber das ist nur ein weiteres Symptom der Vergangenheitsvergessenlichkeit. So viel Gegenwart war nie. Gegenwartstrunken vergessen wir die Vergangenheit, die ist vergangen und verloren. Bis wir feststellen, da fehlt doch etwas...



Der Titel in der taz lautete anders, aber der Tenor war der gleiche...

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