Auf den eigenen Füßen stehen,
1. Mai 2008 / Eingestellt von thw um 13:42 /
konnten die Besucher zur Ausstellungseröffnung von Gerwald Rockenschaub im Y8 (sprich Yacht) in Hamburg. Künstlerische Eingriffe in den Zentralraum des Yoga-Zentrums von Benita-Immanuel Gasser in Hamburg haben schon eine gute Tradition und selbst der Direktor des Hamburger Kunstvereins Yilmaz Dziewior schaute vorbei.
Die Eröffnungsansprache lässt sich hier nachlesen:
Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Gerwald Rockenschaub,
liebe Benita Immanuel,
wer sich mit dem Werk von Gerwald Rockenschaub auseinander setzt, dem können die Kategorien und Kriterien schnell durcheinander geraten. Da gibt es Skulpturen, die eher Raumeingriffe sind. Da gibt es Bilder, die eher Logos gleichen. Und es gibt Ausstellungen, die zu Architekturen werden wie in dieser Ausstellung, wo man als Betrachter gar nicht so genau weiß, an welcher Stelle man steht. Es ist die erste Vernissage, wo ich erlebe, dass sich die Besucher nicht gegenseitig auf die Füße treten, sondern sich selbst auf die Füße treten. Gucken Sie an sich herunter und sie müssen mir zustimmen.
Wo stehen wir? Tatsächlich ist diese Frage von Bedeutung für das Werk und das Arbeiten von Gerwald Rockenschaub. Und sie lässt sich auch auf den Künstler selbst anwenden: Wo steht der Künstler gegenüber dem Betrachter? Diese Frage ist keinesfalls so trivial wie sie sich anhört, denn dem Werk von Gerwald Rockenschaub eignet eine spezifische Strategie, die sich aus dem Spiel von Nähe und Distanz ergibt: Die Nähe wird dadurch erreicht, dass man als Betrachter sich in einer spezifischen Situation befindet oder in sie gebracht wird, die man zu kennen meint wie in diesem Raum, den sie alle zu kennen meinen und der doch jetzt so anders aussieht.
Aber das Altbekannte erweist sich bei näherem Hinsehen als ein Trugbild, denn in die Situation ist immer eine Art Fehler eingebaut und sei es der Fehler, dass es perfekt aussieht. Das führt zu einer produktiven Rezeption, weil der Betrachter, die Betrachterin sich beim zweiten Blick erstmal selbst situieren muss. Johanna Hofleitner hat das so ausgedrückt: „Der Beobachter entscheidet selbst, was im Bild ist.“
Diese produktive Störung scheint auf den ersten Blick einfach zu sein, sie setzt aber ein konkretes Wissen der Bildformeln, Regeln und Manieren der Moderne voraus und den ihnen folgenden Bewegungen, heißen sie Postmodern oder gar nicht mehr wie heute. Die Frage stellt sich dann auch anders und zwar so: Wer ist Produzent, wer ist Beobachter? Die Antwort war im Bereich der modernen Kunst ganz einfach: Der Künstler war der Produzent, der Betrachter war der Beobachter. Mit der Postmoderne, ein Wort, das wir heute gar nicht mehr gern verwenden, aber mussten wir uns von einfachen Antworten verabschieden.
Bei Rockenschaub wird der Betrachter zum Produzenten. Er realisiert als Beobachter das Werk. In diesem Sinne sind dann Abbildungen seiner Werke in Katalogen nur noch Dokumentationen einer spezifischen Situation. In der gegebenen Situation verändert sich dann auch der bekannte Werkbegriff. Das Werk ist keine abgeschlossene Entität mehr, sondern ein prozessualer Vorgang, bei dem sich ganz unterschiedliche Werkentitäten entwickeln können. Von daher wird die Frage nach Kategorien und Kriterien noch schwieriger zu beantworten zu sein.
An dieser Stelle möchte ich einen Begriff einführen, der für das Werk von Gerwald Rockenschaub spezifisch ist. Es handelt sich um den Begriff der ‚künstlerischen Intelligenz’. Er ist in Analogie zum bekannten Wort der ‚künstlichen Intelligenz’ gebildet, aber es ist klar, dass es ohne die künstlerische Intelligenz keine künstliche Intelligenz geben kann. Erst die künstlerische Intelligenz kann die Intelligenz sozusagen extrapolieren, um aus ihr dann eine künstliche Intelligenz werden zu lassen.
Mit dem Begriff der ‚künstlerischen Intelligenz’ vermeiden wir den gewohnten Bezug auf die Person des Künstlers, des Genies oder des Betriebssystem Kunst und öffnen ein Feld der Möglichkeiten, wie sie Gerwald Rockenschaub in seinem Werk vorgeführt hat. Er war ebenso bildender Künstler wie Designer, Architekt wie Maler, Musiker wie Produzent, ohne die Grenzen vollständig zu verwischen. Darauf hat Jörg Heiser in einem Beitrag zum großen Katalog der Ausstellung im Museum Moderner Kunst in Wien hingewiesen.
Hier an diesem Ort, der sich selbst als Kunstort negiert und dennoch Ausstellungsplatz ist, ist Raum gegeben, um die Denkrichtung zu ändern, um zu einer anderen Sicht der Dinge zu kommen. Der Begriff der ‚künstlerischen Intelligenz’ vermeidet bewusst einen ausgezeichneten Produzenten noch einen fixierten Werkbegriff, sondern setzt auf die Generierung von Ideen und deren Umsetzung, in welcher Form auch immer und im welchem Kontext auch immer. Eine solche Sicht der Dinge ist notwendiger denn je, um dem Markt nicht das letzte Wort zu überlassen. Und das Werk und die Arbeitsweise von Gerwald Rockenschaub ist paradigmatisch für eine künstlerische Intelligenz.
Ich danke Ihnen.
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